Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich die Sicherheitslage in Europa verändert. Regierungen gehen über die Bücher – zum Beispiel Deutschland. Die Ministerinnen und Minister haben in Berlin ein Gesetz zur Einführung eines neuen Wehrdienstes auf den Weg gebracht.
Um die Bedeutung dessen zu zeigen, hat sich Kanzler Merz kurz vor Mittag nicht wie üblich aus dem Kanzleramt, sondern aus dem Verteidigungsministerium zu Wort gemeldet. Das gab es zum letzten Mal vor über 30 Jahren. Was genau beschlossen wurde, weiss Stefan Reinhart, ehemaliger Deutschland-Korrespondent.
Was hat Deutschland genau entschieden?
Die deutsche Ministerrunde hat den Rechtsrahmen gebilligt, um junge Männer für die Bundeswehr zu erfassen. Dabei wird aber zunächst auf Freiwilligkeit und auf einen attraktiveren Dienst gesetzt. Konkret sollen ab nächstem Jahr alle 18- und 19-jährigen Männer einen Fragebogen ausfüllen müssen, wobei sie ihre Neigungen und Wünsche formulieren können. Auch Frauen dürfen das tun. Danach sollen alle Männer sowie die freiwilligen Frauen zur Aushebung aufgeboten werden. Eine Rückkehr zur Wehrpflicht, die unter anderem Kanzler Merz selbst gefordert hatte, wurde nicht vereinbart.
Warum will Deutschland mehr Soldatinnen und Soldaten?
Deutschland kennt seit 2011 keine Wehrpflicht mehr. In den letzten Jahren wurde die Bundeswehr kontinuierlich abgebaut. Aktuell stellt Deutschland 180'000 aktive Soldatinnen und Soldaten. Doch gemäss neuen Vorgaben des Nato-Verteidigungsbündnisses bräuchte das Land 260'000 davon. Deshalb ist die Regierung gewillt, diese Zahl nach oben zu schrauben.
Warum nicht gleich die allgemeine Wehrpflicht?
Das hängt damit zusammen, dass die Bundeswehr gar nicht fähig wäre, eine so grosse Zahl an jungen Leuten aufzunehmen. Es fehlt an Kasernen, Gewehren, Bekleidung, Panzern – überhaupt an militärischen Mitteln, um diese Leute zu beschäftigen. Eigentlich möchten die Unions-Parteien unter Kanzler Merz eine schnelle und verbindliche Wehrpflicht wiedereinführen. Doch für die SPD, welche viele friedenspolitisch aktive Mitglieder hat, ist die Freiwilligkeit wichtig. Es gab deshalb auch Streit innerhalb der Koalition. SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius ist überzeugt, dass mit dem neuen Gesetz das nötige Soll an Soldatinnen und Soldaten erreichen wird. Die CDU/CSU hegt hingegen grosse Zweifel.
Wie gut stehen die Chancen für das neue Gesetz?
Das dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit durchkommen, weil die Koalition aktuell die Mehrheit im Bundestag bildet. Doch es gibt da das alte Struck'sche Gesetz, das Gesetz eines ehemaligen SPD-Verteidigungsministers, der einmal sagte: Kein Gesetz kommt aus dem Bundestag so heraus, wie es hereingegangen ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Massnahmen noch verschärft werden. Denn bei der CDU heisst es, man könne nicht einfach zuschauen, was passiert. Es brauche eine Messlatte, zum Beispiel im Gesetz verankerte jährliche Zielvorgaben für die Aufstockung der Bundeswehr mit Freiwilligen. Und es brauche einen Mechanismus, damit bei Unterschreitung der Ziele Schritte hin zu einer Wehrpflicht ausgelöst würden. Die SPD wird sich dagegen wehren. Im Parlament steht noch ein harter Kampf bevor.