Zum Inhalt springen

Drehkreuze in Venedig «Das Problem wird nicht gelöst, sondern bloss verteilt»

In der Lagunenstadt hat es zu viele Touristen. Korrespondent Franco Battel zweifelt an den nun ergriffenen Massnahmen.

In Venedig sollen neu installierte Drehkreuze die Touristenströme besser dosieren. Doch Italien-Korrespondent Franco Battel zweifelt stark daran, dass die Sperranlage der Lagunenstadt eine Erleichterung bringen wird. Das wäre jedoch dringend nötig, denn pro Jahr besuchen 30 Millionen Touristen die Stadt der Liebe.

Franco Battel

Italienkorrespondent

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Franco Battel ist seit 2024 wieder Italienkorrespondent bei Radio SRF. Zuvor war er Auslandredaktor. Bereits von 2015 bis 2021 berichtete Battel als Korrespondent für Italien und den Vatikan aus Rom. Zuvor war er als Auslandredaktor für Mexiko, Zentralamerika, Kuba und Liechtenstein verantwortlich.

SRF News: Sind die neuen Drehkreuze in Venedig am jüngsten Feiertag, dem 1. Mai, gebraucht worden?

Franco Battel: Nein, sie waren noch nicht im Einsatz. Die als Sperranlagen dienenden Drehkreuze wurden zwar auch im Hinblick auf das Wochenende und den 1. Mai montiert, weil aber das Wetter nicht besonders gut war, kamen nicht all zu viele Leute nach Venedig. Darum blieb die Dosieranlage ausser Betrieb.

Wie funktionieren diese Sperranlagen?

Es gibt zwei solche Drehkreuze: Die eine Anlage steht beim Bahnhof an der Ponte della Costituzione, die andere beim zentralen Parkplatz. Dort gelangen die Touristen, sofern sie nicht mit einem Schiff ankommen, in die Stadt hinein. Alle anderen Zugangswege in die Stadt sind aber immer offen, auch wenn bei Grossandrang die beiden Sperranlagen vorübergehend für Touristen geschlossen würden. Es würden also bloss die Haupt-Touristenpfade durch die Stadt geschlossen. Dazu gehört etwa jener, den die Leute vom Bahnhof oder vom Parkplatz mehr oder weniger direkt Richtung Markusplatz einschlagen.

Touristenmenge auf dem Markusplatz.
Legende: Jedes Jahr besuchen rund 30 Millionen Touristen Venedig. Reuters

Sind die Einwohnerinnen und Einwohner von Venedig auch von der Sperrmassnahme betroffen?

Nein. Sie haben einen speziellen Ausweis, mit dem sie das Drehkreuz problemlos passieren können. Damit erhalten die Bewohner von Venedig übrigens auch andere Vergünstigungen. So können sie etwa billiger mit dem Vaporetto, dem Wasserbus, fahren.

Die Drehkreuze nützen wohl wenig bis gar nichts.

Mit den Drehkreuzen werden die Touristen nicht mehr alle durch dieselben Gassen laufen und andere Wege durch die Stadt nehmen. Löst dies das Problem, das Venedig mit dem Massentourismus hat?

Kaum. Die Drehkreuze nützen wohl wenig bis gar nichts. Sie lenken die Touristenströme bloss durch jene Quartiere Venedigs, die bislang eher wenig besucht wurden. Das Problem wird so nicht gelöst, sondern bloss verteilt.

Wo müsste die Stadt denn ansetzen, wenn sie der überbordenden Touristenhorden Herr werden wollte?

Das ganz grosse Problem Venedigs ist, dass die Stadt langsam ausstirbt und zur blossen Kulisse, einer Art Disneyland, wird. Während vor ein paar Jahrzehnten noch 170'000 Menschen in Venedig wohnten, sind es mittlerweile nur noch rund 50'000. Auf sie kommen an einem schönen Tag bis zu 120'000 Touristen.

Venedig stirbt langsam aus.

In den letzten Jahrzehnten hat in Venedig eine regelrechte Verdrängung stattgefunden. Die Wohnungseigentümer vermieten ihre Wohnungen nicht mehr an Dauermieter, sondern vermieten sie als Ferienwohnungen oder als Pensionen – denn so ist die Rendite höher. Im Zuge dieser Entwicklung sind auch die Läden des täglichen Bedarfs aus Venedig verschwunden. Mittlerweile ist es schwierig in der Lagunenstadt einen Coiffeur, einen Schlüsseldienst oder eine Metzgerei zu finden. So stirbt Venedig langsam aus.

Was müsste Venedig tun, damit die Einheimischen nicht mehr vor den Touristenströmen fliehen und weiter in der Stadt wohnen?

Man müsste wohl bei den Ferienwohnungen und «Bed and Breakfasts» ansetzen. Man müsste die Bettenzahl für die Touristen steuern, das Angebot reduzieren. Zudem müsste man schauen, dass die Infrastruktur für die Einwohner erhalten bleibt, dass die Dinge des täglichen Bedarfs nach wie vor auf der Insel erhältlich sind und man dafür nicht aufs Festland, nach Venezia Mestre, fahren muss.

Kreuzfahrtschiff vor Venedig, fotografiert durch eine Gasse.
Legende: Die vielen Kreuzfahrtschiffe greifen die Fundamente der Lagunenstadt an. Reuters

Venedig ist Weltkulturerbe der Unesco. Ist dieses Kulturerbe nicht durch die Touristenströme gefährdet?

Das ist eine sehr zweischneidige Sache. Die 30 Millionen Touristen, die pro Jahr nach Venedig kommen, bringen viel Geld in die Lagunenstadt. Dieses Geld wird ja auch reinvestiert, um das ganze Kulturerbe der Stadt, wie die wunderbaren «Palazzi» oder Kirchen, zu erhalten. Andererseits unterspülen die riesigen Kreuzfahrtschiffe, die nahe der Stadt vorbeifahren oder direkt am Markusplatz anlegen, die Fundamente. Zwar sollen die Schiffe bis in ein paar Jahren nicht mehr direkt an die Stadt heranfahren. Doch das Beispiel zeigt eindrücklich, wie die Touristenströme buchstäblich an der Stadt nagen.

Das Gespräch führte Hans Ineichen.

Meistgelesene Artikel