Der Auslöser: Premierminister Pedro Sánchez hat am Mittwoch in einem auf dem Kurznachrichtendienst X veröffentlichten Brief mitgeteilt, er werde die Amtsgeschäfte für ein paar Tage ruhen lassen, um über einen Rücktritt nachzudenken. Ein Madrider Amtsgericht hatte zuvor Vorermittlungen gegen seine Ehefrau Begoña Gomez angekündigt – wegen mutmasslicher Korruption. Der 52-jährige Sozialist sagte alle Termine ab und kritisierte die anhaltenden schweren Angriffe aus dem rechten Lager auf ihn und seine um drei Jahre jüngere Frau. Die Anzeige stammt von der Gewerkschaft «Manos Limpias» («Saubere Hände»), die sich dem Kampf gegen Korruption verschrieben hat und für rechte Anliegen einsetzt. Sozialist Sanchez ist seit Juni 2018 Premier. Seit Juli 2023 führt er eine von Regionalparteien gestützte Minderheitsregierung an. Er will am Montag erklären, ob er im Amt bleibt.
Die Reaktionen: Die Ankündigung des Premiers überraschte ganz Spanien und löste geteilte Reaktionen aus, wie Journalistin Julia Macher in Barcelona berichtet: Parteigefährten des Sozialisten sprachen von «absoluter Bestürzung» und «Schock». Vor der Parteizentrale versammelten sich einige Dutzend Anhänger, um Sánchez ihre Unterstützung kundzutun. Die konservative Volkspartei PP als grösste Oppositionspartei warf dem Premier vor, er stilisiere sich zum Opfer, wolle nur polarisieren und seine Wählerschaft mobilisieren. Sánchez’ Verhalten sei «kindisch und narzisstisch».
Die Spekulationen: In Talkshows wurde über die wahre Motivation des Premiers gegrübelt, vorerst ohne logisch erscheinende These, wie Macher erklärt: Viele vermuteten allerdings keine politische Strategie, sondern persönliche Betroffenheit. Sánchez schreibt von einer «zerstörerischen Kampagne» auf sein persönliches Umfeld und seine Frau, die er sehr liebe. Es sei der Höhepunkt des jahrelangen Versuchs der politischen Rechten, ihm und seiner Regierung die Legitimation abzusprechen. Er müsse sich auch als Mensch überlegen, ob er weiterregieren wolle in einem Sumpf, wo Rechte und Rechtsextreme Politik zu machen versuchten.
Die Anzeige: Die Anzeige wird von spanischen Rechtsexperten als juristisch eher dünn beurteilt. Begoña Gómez wird vorgeworfen, ihren Einfluss als Gattin des Premiers benutzt zu haben, um Unternehmen zu öffentlichen Geldern zu verhelfen. Als Beweise werden Artikel aus spanischen, eher rechtsgerichteten Onlinemedien zitiert. Da ist unter anderem von einem Empfehlungsschreiben die Rede, das Gómez einem Unternehmen ausgestellt haben soll. Das Madrider Ermittlungsgericht hat jetzt Vorabklärungen aufgenommen und bisher als Zeugen Autoren der Artikel einbestellt. Noch ist offen, ob ein Strafverfahren eröffnet wird.
Die Prognosen: Noch ist nicht absehbar, was am Montag, fünf Tage nach der Ankündigung, in Spanien passieren wird. Fünf Tage seien in der Politik eine lange Zeit, um dann die Wiederaufnahme des Amtes zu erklären, schätzt Journalistin Macher. Tritt Sánchez ab, müsste der König dem Parlament eine neue Kandidatur vorschlagen. Oder Sánchez’ Stellvertreterin übernimmt die Amtsgeschäfte, bis Neuwahlen ausgerufen werden können. Das wäre frühestens ein Jahr nach den letzten Wahlen möglich. Nicht ganz unwahrscheinlich: Sánchez stellt am Montag im Parlament die Vertrauensfrage, was allerdings ein sehr taktisches Manöver wäre.