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Helmut Metzner
Legende: Helmut Metzner ist Bundesvorstand und Schatzmeister des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) in Deutschland. ZvG

Ehe für alle «Wir erleben noch täglich Diskriminierung»

Auch wenn die Ehegleichstellung angenommen worden sei, bleibe viel Arbeit, sagt LSVD-Bundesvorstand Helmut Metzner.

SRF News: Sie haben sich heute an diesem historischen Tag ein Stück Torte gegönnt: Der Deutsche Bundestag hat zugunsten der Ehe für alle gestimmt. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie davon hörten?

Helmut Metzner: Insgesamt war das ein krönender Abschluss für 30 Jahre Arbeit für die Gleichstellung von Homosexuellen. Es ist unfassbar, welche Dynamik sich in dieser Woche entwickelt hat und die in diesem wunderbaren Abstimmungsresultat gemündet hat. Ich selber sass auf der Tribüne des Bundestages und habe das Geschehen verfolgt. Es war eine sehr ernsthafte Debatte, die von gegenseitigem Respekt geprägt war – auch wenn es zwei, drei Pirouetten gab. Aber das waren lediglich Randerscheinungen.

Das ist nicht ganz ohne Wahlkampfnote zu sehen.
Autor: Helmut Metzner LSVD-Bundesvorstand

Kurz erklärt: LSVD

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Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) ist eine bürgerrechtlich orientierte Organisation. Sie ist mit über 4400 Einzelmitgliedern und 100 Mitgliedsorganisationen die grösste Bürgerrechts- und Selbsthilfeorganisation von Homosexuellen. Der Verband ist auf Bundes-, Landes- und Ortseben, aber auch in Europa und international aktiv.

Wurde Ihre Freude nicht dadurch getrübt, dass Bundeskanzlerin Merkel dagegen gestimmt hat?

Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass Frau Merkel erhebliche ‹Bauchschmerzen› mit der Gleichstellung hatte. Diese Woche hat sie es zur Gewissensfrage erhoben. Und irgendwann erreichen wir dann die Region des Verstandes. Und Verstand beruht auf Verständnis und Verstehen. Dazu hat die Debatte heute beigetragen. Und so können wir auf das Nein der Kanzlerin mit Nachsicht blicken.

Welche Rolle spielte bei dieser Abstimmung der Wahlkampf, der ja in vollem Gang ist?

Das ist nicht ganz ohne Wahlkampfnote zu sehen. Im Grunde genommen ist ja schon ein Jahr vor der Wahl Wahlkampf. Alles wird mit dem Blick darauf inszeniert und ausgerichtet. Diese Woche hat ein erfreuliches Beispiel parlamentarischen Selbstbewusstseins zutage treten lassen. Da sind auch leichte Störgeräusche vertretbar – wenn das Gesamtergebnis stimmt.

Die Öffentlichkeit war schon längst für eine Gleichstellung der Ehe.
Autor: Helmut Metzner LSVD-Metzner

Was bedeutet das Abstimmungsresultat nun für den Alltag?

Die letzte verbleibende Regelung, die einen Unterschied zwischen der Lebenspartnerschaft und der unterschiedlich geschlechtlichen Ehe machte, ist eingeebnet. Damit steht jetzt die Möglichkeit der gemeinsamen Adoption offen. Das war ja bislang nur über ein umständliches bürokratisches Verfahren möglich: Zuerst adoptiert der eine Lebenspartner, danach der andere. Der heutige Entscheid des Bundestags rundet ab, was sich ja im Laufe der Jahre abgezeichnet hat.

Was hat sich denn abgezeichnet?

Endlich darf etwas, das rechtlich gleich ist, auch gleich heissen. Es ist zudem das Ende einer sprachlichen Diskriminierung, die für viele Lebenspartnerschaften eine echte Kränkung dargestellt hat. Die Öffentlichkeit war schon längst für eine Gleichstellung der Ehe.

Die Gleichstellung wird also Realität, wie geht es jetzt weiter mit Ihrer Arbeit?

Wir haben eine Mission erfüllt. Nun geht es darum, Gesetzestexte in die Wirklichkeit umzusetzen, Verfassungswirklichkeit zu gestalten. Da sind wir leider noch weit von rosigen Zuständen entfernt. Das zeigt sich unter anderem in anhaltend hohen Raten der Hasskriminalität – Übergriffe aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechteridentität.

Nichts ist in einem Rechtsstaat in alle Ewigkeit garantiert. Das deutsche Grundgesetz hat 50 Jahre lang gestattet, dass Homosexuelle diskriminiert werden konnten. Wir müssen nun weitere Sicherungen einbauen, dass so etwas nicht mehr vorkommen kann. Wir dürfen uns nicht damit zufrieden geben, was heute in einem parlamentarischen Akt errungen worden ist. Da bleibt noch einiges zu tun, bis sich dies beispielsweise auch in den Lehrplänen niederschlägt. Das betrifft also auch die Prävention.

Werden denn Homosexuelle im Alltag noch diskriminiert?

Sie werden vielleicht nicht mehr in dem Masse diskriminiert, wie es bis zur Aufhebung der entsprechenden Gesetzesparagrafen 1969 und 1994 der Fall war. Aber es gibt überall noch Diskriminierung. Das erleben wir täglich. Und wir müssen auch immer daran denken, dass – über Schwule und Lesben hinaus – auch andere gesellschaftlichen Gruppen mit ähnlichen Problemlagen ins Blickfeld gerückt werden: Die Trans- und intersexuellen Menschen, die erhebliche Schwierigkeiten haben, von der Gesellschaft in ihrer individuellen Menschenwürde akzeptiert und anerkannt zu werden.

Zum Schluss, was wünschen Sie sich künftig für Homosexuelle in Deutschland?

Einen selbstverständlichen Umgang und Offenheit in der Auseinandersetzung. Wir haben das ja am Schlüsselerlebnis der Bundeskanzlerin feststellen können im Umgang mit lesbischen Frauen. Dort hat sie gesehen, dass hier auch Verantwortung getragen wird – in erheblichem Umfang. Das baut Vorurteile ab. Auch wenn Frau Merkel aus parteipolitischen Gründen heute anders votiert hat. Der persönliche Austausch schafft Verständnis, baut Hürden ab und sorgt damit für mehr Akzeptanz in der Gesellschaft.

Das Gespräch führte Richard Müller.

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