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Ehemaliger SED-Generalsekretär «Keine Enttäuschung kann so gross sein, dass man Nazis wählt»

Egon Krenz stand an der Spitze der DDR, als der letzte Generalsekretär der Sozialistischen Partei. Nach dem Mauerfall verbüsste er wegen der Todesschüsse auf die Flüchtenden an der Mauer eine Gefängnisstrafe. Warum er China als erfolgreiches Beispiel sieht und wie er den Erfolg der AfD einordnet, erzählt er im SRF-Interview.

Egon Krenz

Ehemaliger SED-Generalsekretär

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Der 82-Jährige ist ehemaliger Pädagoge und Generalsekretär der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in der DDR. Nach dem Mauerfall sass er knapp vier Jahre im Gefängnis.

SRF News: Haben Sie sich mit der Geschichte der DDR, mit deren Ende und der deutschen Wiedervereinigung versöhnt?

Egon Krenz: Der Vorteil der deutschen Vereinigung war und ist, dass den Deutschen die Furcht genommen wurde, gegeneinander Krieg führen zu müssen. Diese Gefahr bestand in der Zeit des Kalten Krieges immer. Der Nachteil ist, dass heute wieder deutsche Truppen an der russischen Grenze stehen.

Demonstration mit Transparenten.
Legende: «Mit dem Untergang der Sowjetunion hatte die DDR keine Chance mehr», so Krenz. Keystone/Archiv

Hätte die DDR aus Ihrer Sicht überleben können oder war sie auch ökonomisch dem Untergang geweiht?

Die ökonomische Situation der DDR hat sicherlich eine Rolle gespielt. Aber es gibt heute auf der Welt viele Länder, die ökonomisch schlechter dastehen als damals die DDR, und trotzdem weiter existieren. Es gibt also nicht nur innere Ursachen dafür, dass es die DDR nicht mehr gibt. Die Sowjetunion und mit ihr die sozialistischen Länder Europas haben den Kalten Krieg verloren. Mit dem Untergang der Sowjetunion hatte die DDR keine Chance mehr.

Egon Krenz und die DDR

Als die Mauer fiel, war die Wiedervereinigung noch nicht auf der Tagesordnung. Zuerst hiess es, «Wir sind das Volk» und es wurde eine reformierte DDR gefordert. Plötzlich ging es ganz schnell und viele wollten der Bundesrepublik beitreten. Woher dieser Sinneswandel der DDR-Bevölkerung?

Man darf nicht vergessen, dass im Zusammenhang mit den Demonstrationen in Leipzig und anderswo eine Kampagne gegen Amtsmissbrauch und Korruption in der DDR geführt wurde. Diese wurde von der alten Bundesrepublik gesteuert. Dadurch war der Drang bei vielen Menschen da, der Bundesrepublik beizutreten. Heute sieht man, dass nicht wenige Menschen über diese Entwicklung unglücklich sind.

Der Antifaschismus gehörte zur Staatsraison der DDR, quasi zur Muttermilch. Wie erklären Sie sich, dass in Ostdeutschland, namentlich in Sachsen, die AfD so viele Stimmen erhält?

Ich denke nicht, dass das irgendetwas mit dem Erbe der DDR zu tun hat. Die AfD wird zwar im Osten gewählt. Ich weiss aber aus vielen Gesprächen, dass in der Regel die Leute nicht das Programm der AfD wählen, sondern die AfD nur deshalb wählen, weil die anderen Parteien versagt haben.

Die Chinesen haben ein ganz anderes Verhältnis zu ihrem Staat. Sie vertrauen ihrem Staat.

Trotzdem – keine Enttäuschung über die Entwicklung seit 1989 kann so gross sein, dass Nazis oder Neonazis gewählt werden.

Sie sagen, dass der Sozialismus noch nicht tot sei und wünschen sich die chinesische Lösung als Ziel. Millionen wurden aus der Armut geholt. Andererseits ist es ein Land, wo man Bonuspunkte kriegt, wenn man sich richtig verhält. Möchten Sie wirklich in so einem Land leben?

Waren Sie schon mal in China?

Ja.

Und haben Sie dieses System schon mal selber gesehen?

Leute in Saal.
Legende: Die Chinesen hätten ein anderes Verhältnis zu ihrem Staat, meint Krenz. Keystone

Dieses System sieht man nicht, das erfährt man.

Man erfährt in Europa leider viel Falsches über China. Man darf die Lebensumstände, die man in Europa hat, nicht automatisch auf China übertragen. Wäre China so strukturiert wie Europa, dann würde es aus 57 Nationen bestehen. Ein Land mit 1.4 Milliarden Menschen muss anders geführt werden als ein Land wie die Schweiz. Bei aller Hochachtung vor der Schweiz, aber man kann weder die Lebensverhältnisse noch die politischen Umstände miteinander vergleichen. Die Chinesen haben ein ganz anderes Verhältnis zu ihrem Staat. Sie vertrauen ihrem Staat.

Das Gespräch führte Peter Voegeli.

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