Zum Inhalt springen

Ehrenmord in Jordanien Ahlams Schreie und die Wut der Strasse

Ein Vater erschlägt seine geschiedene Tochter mit einem Stein. «Genug!», findet die junge Generation – und begehrt auf.

Es passierte am vergangenen Freitag in der jordanischen Hauptstadt Amman: Ahlam, eine geschiedene Frau Ende 30, wurde von ihrem Vater brutal mit einem Stein erschlagen. Offenbar weil er fand, sie bringe Schande über die Familie.

Niemand kam der Frau zu Hilfe. Aber jemand hat die Schreie der Frau aufgenommen; gleichzeitig kursierten Berichte, wonach die Mutter der Ermordeten dem Vater, der eben die gemeinsame Tochter erschlagen hatte, nach der Tat eine Tasse Tee brachte.

«Hört auf, Mörder zu verteidigen!»

Die Aufnahme breitete sich rasch unter dem Titel «Die Schreie Ahlams» auf den sozialen Medien aus – am folgenden Tag gingen über tausend Menschen auf die Strasse, was in Jordanien viel ist.

Demonstrantin in Amman, 22. Juli 2020
Legende: «Hört auf, Mörder zu verteidigen!»: Ein sogenannter Ehrenmord empört derzeit junge Jordanierinnen und Jordanier – sie fordern Gerechtigkeit. Reuters

Eine Kundgebungsteilnehmerin schickt Aufnahmen der Demonstration per Whatsapp: Sie zeigen Frauen und Männer, die meisten davon sind jung. Auch die mehrfach preisgekrönte jordanische Journalistin Rana Husseini ist mit dabei.

Seit bald 30 Jahren recherchiert die Reporterin für die englischsprachige jordanische Tageszeitung «Jordan Times» zu sogenannten Ehrenmorden. Sie hat darüber auch ein vielbeachtetes Buch geschrieben und massgeblich zu einem Sinneswandel gegenüber solchen Verbrechen beigetragen.

«Die Kundgebung war wichtig, weil sie von jungen Männern und Frauen organisiert wurde», sagt Husseini. Die Demonstrantinnen und Demonstranten seien nicht so gut vorbereitet gewesen, weil sie auch Gesetze gegen solche Gewalt gefordert hätten, die es aber längst gebe.

Serena Joury
Legende: Eine jordanische Mutter und Tochter demonstrieren gemeinsam gegen den furchtbaren «Ehrenmord» von letzter Woche in Jordanien. Serena Joury/ZVG

Aber mit ihrer Forderung nach dem Ende des Patriarchats als Ursache solcher Gewalt hätten sie auch eine neue Debatte über eine alte Forderung der jordanischen Frauenbewegung ausgelöst. Diese werde dank der provokativen Wortwahl und der spontanen Kundgebung der Jungen jetzt wieder rege diskutiert.

Die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Rana Husseini hebt Fortschritte im Kampf gegen solche Verbrechen wie den Mord an Ahlam hervor. Heute gelte «Rettung der Familienehre» nicht mehr als strafmilderndes Tatmotiv, sondern die Täter müssten mit Gefängnisstrafen von siebeneinhalb Jahren bis lebenslänglich rechnen.

Die spontane Demonstration war ein Weckruf für die Regierung.
Autor: Rana Husseini Jordanische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin

Und wenn eine Frau in der Familie unter verdächtigen Umständen umkomme, werde heute schneller eine polizeiliche Ermittlung wegen Mordes eingeleitet. «Die ganze Gesellschaft hat dazu beigetragen, diese Gesetze zu verschärfen: die Polizei, die gerichtlichen Ermittlungsbehörden, die Regierung, die Königsfamilie, alle zusammen!»

Der Druck der Strasse wirkt

Noch bleibe jedoch einiges zu tun, sagt Husseini. Es gebe noch immer eine Gesetzeslücke, mit der eine reduzierte Strafe für Täter erwirkt werden könne. Und es gebe Behördenfehler.

Rasa Husseini
Legende: Die jordanische Journalistin Rasa Husseini setzt sich für die Rechte der Frauen in ihrer Heimat ein. Für sie sind die Proteste ein Weckruf für die Regierung. imago images

Die Behörden hätten die Frau, die vor ein paar Tagen ermordet worden sei, unerklärlicherweise ihrer Familie übergeben, obwohl sie gewusst hätten, dass sie dort in Gefahr sei. Nach der Tat hätten die Behörden aber sofort eine Untersuchung angekündigt – noch bevor die Demonstration stattgefunden habe.

Und das, obwohl sie stark mit der Coronakrise und ihren Folgen für das Land beschäftigt seien. «Die spontane Demonstration war ein Weckruf für die Regierung. Die Behörden werden sich noch mehr Mühe geben, die Frauen und Kinder Jordaniens zu schützen – denn sonst gehen sofort wieder tausend Menschen auf die Strasse.»

Rendez-vous vom 29.07.2020, 12:30 Uhr

Meistgelesene Artikel