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Ein Blick auf Gaza Die Grenzen des Präzisionskriegs

Kriegsführende Nationen sprechen gerne von «Präzisionsschlägen». Doch diese Art von Kriegsführung ist keineswegs so human, wie man meinen möchte. Das zeigt das Beispiel Gaza.

«Mitten im Krieg rief mich ein Unbekannter an. Der Anrufer sagte, er sei vom israelischen Militär», erzählt Mohammed Mughaisib, ein einheimischer Arzt und Koordinator für die medizinische Hilfe von Médecins sans Frontières (MSF) in Gaza.

Wir werden in Ihrem Quartier bombardieren, weil sich ein Feind dort versteckt.
Autor: Unbekannter Anrufer Wahrscheinlich Angehöriger des israelischen Geheimdiensts

«Er wusste, wer ich war, und sagte: Doktor, fordern Sie Ihre Nachbarn auf, ihre Häuser zu verlassen! Wir werden in ihrem Quartier bombardieren, weil sich ein Feind dort versteckt. Bringen Sie Ihre Familie in Sicherheit und folgen Sie mir!» Der Mann am Telefon habe ihm genauste Anweisungen gegeben, erzählt der Arzt aus Gaza.

Viele Tote trotz «Präzisionsschlägen»

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Behandlung eine Verletzten im Operationsraum.
Legende: Tetiana Gaviuk/MSF

Im Gazastreifen regiert die militante palästinensische Hamas. Sie schiesst regelmässig Raketen auf Israel ab. Deshalb kam es in den letzten 13 Jahren zu vier Kriegen, letztmals im Mai 2021. Dabei versuchten die Israelis, zivile Opfer zu minimieren: In elf Tagen kamen 260 Menschen ums Leben, immerhin zehnmal weniger als im Israel-Gaza-Krieg von 2014. Rund 2000 Menschen wurden teils schwer verletzt. Und die Schäden waren riesig: Mehr als 2000 Wohngebäude wurden zerstört, Tausende weitere beschädigt. Darunter waren auch Einrichtungen von MSF.

Mughaisib erzählt weiter: «Der Mann sagte: Sehen Sie das weisse Auto auf der Strasse? Gehen Sie daran vorbei, zum schwarzen Auto.» Der Anrufer habe ihn wahrscheinlich mithilfe einer Drohne beobachtet, vermutet Mughaisib.

Treppenhaus statt Luftschutzkeller

Als der Arzt den Nachbarn vor der bevorstehenden Bombardierung gewarnt habe, habe dieser zuerst gedacht, es handle sich um einen Witz. Doch: «Ich erklärte ihm, dass ich den israelischen Geheimdienst am Draht hätte und alle evakuiert werden müssen», so der Arzt.

Die Bombardierung war schrecklich. Es regnete Metallteile und Steine.
Autor: Mohammed Mughaisib Arzt von Médecins sans Frontières in Gaza.

Der Anrufer habe dann von ihm verlangt, weiterzugehen, aber Mughaisib war die Sache unheimlich, er wollte zurück zu seiner Familie. Sein Handy habe er einem Sicherheitsbeamten auf der Strasse in die Hand gedrückt und sei zurück in seine Wohnung geeilt. Mit seiner Familie suchte er Schutz im Treppenhaus. Luftschutzkeller haben die Gebäude in Gaza nicht.

Anderthalb Stunden nach dem Anruf hätten die Israelis dann bombardiert. «Der Anrufer hatte recht mit seiner Warnung. Die Bombardierung war schrecklich. Es regnete Metallteile und Steine. Unser Haus sprang rauf und runter. Die Gesichter meiner Kinder waren gelb vor Schreck, ich fühlte mich hilflos», so der Arzt.

Israelis hatten Hauptstrassen im Visier

MSF konnte während des elftägigen Krieges vom Mai 2021 seine Kliniken nicht öffnen, weil die Israelis praktisch alle Hauptstrassen bombardiert hatten. Den Verletzten nicht helfen zu können, sei für ihn das Schwierigste gewesen, sagt der Arzt Mughaisib.

In den elf Tagen Krieg sind wir alle zehn Jahre älter geworden.
Autor: Mohammed Mughaisib Arzt von Médecins sans Frontières in Gaza.

Erstmals in all den Kriegen der letzten Jahre habe er seine Aufgabe nicht erfüllen können. «Es gab keinen Zugang zu den Kliniken, und keine Sicherheitsgarantie für unser Personal.» Die Bombardierungen und die eigene Ohnmacht hätten ihm stark zugesetzt.

Beschädigtes Gebäude
Legende: Bei einem Angriff der Israelis wurde im Mai 2021 auch eine Klinik von MSF in Gaza beschädigt. Fady Fanona/MSF

«In den elf Tagen Krieg sind wir alle zehn Jahre älter geworden. Ich sehe es an ihren Gesichtern: Sie sind müde, und an der Grenze ihrer Belastbarkeit angelangt.»

Beschädigte Gebäude führen zu Folge-Verletzungen

Die Präzisionsschläge auf einzelne Gebäude haben zwar weniger Menschen in Gaza getötet. Trotzdem sind die Schäden an anderen Gebäuden in den engen und dichtbevölkerten Wohnquartieren beträchtlich, was auch die Verletzungsgefahr erhöht, wenn die Menschen weiter in den beschädigten Häuser leben.

So behandelte MSF allein im letzten Jahr über 5500 Menschen mit Brandwunden. Eine miserable Infrastruktur in beschädigten, unsicheren und überfüllten Wohnungen führt zu Unfällen. Zudem leidet die Bevölkerung auch psychisch: Eine Drohne am Himmel löst inzwischen schon Angst vor einem nächsten Krieg aus.

SRF 4 News, Rendez-vous vom 16.3.2022, 12.30 Uhr

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