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Ein Porträt von Emmanuel Macron.
Legende: Angetreten mit einem ambitionierten Reformprogramm stösst Emmanuel Macron zunehmend auf Widerstand. Streiks und sinkende Zustimmungsraten kratzen an seinem Image als Polit-Messias. Keystone

Ein Jahr Emmanuel Macron Zwischen Vision und Illusion

Es sind keine Geburtstagspartys, die «Fêtes à Macron», die am Samstag in ganz Frankreich steigen werden. Das Wortspiel der populistischen radikalen Linkspartei «France Insoumise» meint damit nichts anderes, als dass sie sich Macron vorknöpfen wollen. Sie würden ihn am lieben stürzen, König Macron.

Macron, der König

Der jüngste französische Staatspräsident aller Zeiten lieh sich vom ersten Tag an den Nimbus der Bourbonen-Könige, als er unendlich lange vier Minuten gemessenen Schrittes durch den Hof des Louvre marschierte.

Macron bei seinem symbolischen Gang auf dem Vorplatz des Louvres.
Legende: Der pathetische Gang aus dem Dunkel der Geschichte ins Licht der Medien wurde sofort mit dem von François Mitterand verglichen, der nach seiner Amtseinführung allein mit drei Rosen in der Hand durch den Pantheon geschritten war, um sie am Grab des Widerstandskämpfers Jean Moulin niederzulegen. Keystone

«Diese Inszenierung war alles andere als beiläufig. Sie unterstrich zu Recht die Feierlichkeit des Moments. Aber es wirkte auch ein wenig antiquiert, pathetisch. Im 21. Jahrhundert merkt man eben wenn etwas aufgesetzt ist», sagt Philosophie-Professorin Cynthia Fleury.

Emmanuel Macron hat einen ausgeprägten Willen zur Macht. Den hatte er zwar schon im Wahlkampf deutlich gemacht. Seine autoritären Züge entdeckten die Franzosen aber erst, als er den Armeechef in den Senkel stellte, der es gewagt hatte, seine Sparpläne zu kritisieren. «Je suis votre chef», blaffte er die versammelten Militärs an, «ich bin Euer Chef, und ich verbitte mir jeglichen Druck und jegliche Kritik». Aber auch die spitzen Bemerkungen gegen angebliche Faulpelze oder die «Leute, die nichts sind», zeigen eine andere Seite des Präsidenten.

Die Franzosen haben nichts gegen Autorität, aber wenn es zu viel wird, dann schlagen sie Köpfe ab.
Autor: Dominique Wolton Spezialist für politische Kommunikation

«Macron ist jung, sympathisch, charmant, man würde durchaus gern ein Wochenende mit ihm verbringen. Und dann zeigt sich plötzlich eine Selbstherrlichkeit, die befremdet», meint Dominique Wolton. «Die Franzosen haben nichts gegen Autorität, aber wenn es zuviel wird, dann schlagen sie Köpfe ab», spielt der Spezialist für politische Kommunikation auf die Gewohnheit der Franzosen an, die in der Vergangenheit ihre Monarchen gern einen Kopf kürzer machten.

Macron, der Menschenfänger

Charmieren, begeistern, mitreissen mit seinen Visionen. Emmanuel Macron wickelt Freund und Feind mit spielerischer Leichtigkeit um den Finger. Holt die Mächtigen dieser Welt an seinen Hof, hofiert ihnen aber dennoch nicht. Das gefällt den Franzosen, Frankreich ist wieder wer in der Welt. Macron kann sich einem Donald Trump geradezu anbiedern, um ihn einen Tag später vor dem US-Kongress praktisch zu ohrfeigen, indem er leidenschaftlich gegen Trumps Politik anredet.

Der Herr der grossen Gesten

Macron bezeichnet vor Vladimir Putin dem Kreml nahestehenden Medien als Propaganda-Instrumente, Putin starrt derweil auf seine Fingernägel. «Das braucht einen gewissen Mut», betont Dominique Wolton. «In der langfädigen Diplomatie mit ihrer eigenen historischen, politischen und kulturellen Logik weiss man nie, wann man etwas bewegen kann. Macron will die Karten neu verteilen, international wie national.»

Macron, der Reformer

François Hollande und Emmanuel Macron im Porträt.
Legende: Der Ziehsohn stellt Vorgänger François Hollande und die gesamte Sozialistische Partei in den Schatten. Keystone

Die Wahl des 40-jährigen Quereinsteigers hat die politische Landschaft Frankreichs umgepflügt. Die unter Macrons Vorgänger François Hollande führende Sozialistische Partei schrumpfte zur Bedeutungslosigkeit, die Republikaner verloren nach den Skandalen um ihren halsstarrigen Kandidaten François Fillon die Hälfte ihrer Mandate in der Nationalversammlung. Das Feld in der Mitte besetzte Macrons Bewegung «La République En Marche», die sich als links und rechts versteht. Strategisch brillant berief Macron den Republikaner Edouard Philippe zum Premierminister und formiert mit ihm seither ein schlagkräftiges Tandem.

Man muss es Macron zugestehen: Er hat heute schon mehr geschafft als viele seiner Vorgänger zusammen. Die Reform des Arbeitsrechts drückte er dank Verfügungen in solchem Eilzugstempo durch, dass es die Gegner nicht mal schafften, ihre Transparente zu entrollen. Mit dem Moralisierungs-Gesetz drehte er Abgeordneten nicht nur den Geldhahn zu, sie dürfen neu auch keine Familienmitglieder mehr auf Staatskosten beschäftigen.

Weiter kippte Macron die Vermögenssteuer, reduzierte Unternehmenssteuern, entlastete die Einkommen. Letzteres allerdings auf Kosten der Pensionierten. Der Präsident wird zwar nicht müde, den Rentnern vorzubeten, wie privilegiert sie seien. Doch wer eine ohnehin schon kleine Rente durch höhere Sozialabgaben geschmälert sieht, hat dafür kein Ohr.

Macron, der Mutige

An Mut mangelt es Emmanuel Macron nicht. Er nimmt es mit den «Cheminots» auf, den Eisenbahnern der staatlichen Gesellschaft SNCF. Das Unternehmen gilt als heilige Kuh. Frühere Reformversuche endeten 1995 mit wochenlangen Generalstreiks. Mit 50 Milliarden Schulden ist die SNCF aber schlecht auf die kommende Marktöffnung im europäischen Schienenverkehr vorbereitet.

Ein Demonstrant mit Macron-Maske.
Legende: Täuschend echt: Ein unzufriedener Bähnler immitiert die Gestik des französischen Präsidenten. Keystone

Macron will das marode Unternehmen darum in eine Aktiengesellschaft umwandeln, mit dem Staat als Hauptaktionär. Und er will den beamtenähnlichen Status für Bahnangestellte abschaffen. Dieser garantiert ihnen unkündbaren Stellen, zwischen sieben und neun Wochen Ferien, die (theoretische) Möglichkeit, ab 52 in Pension zu gehen und höhere Renten. Die 140'000 Bähnler, die heute von diesem Status profitieren, können ihn behalten, betroffen sind nur Neueinstellungen. Die Gewerkschaften interpretieren die Reform als Anschlag auf den gesamten Service public und machen mobil gegen den befürchteten sozialen Kahlschlag.

Macron, der Umstrittene

Mit einem «grève perlée», einem Intervall-Streik alle drei Tage versuchen die gut organisierten Lokführer die Regierung in die Knie zu zwingen. Bislang mit mässigem Erfolg. Obwohl die Bevölkerung wegen gestrichener Züge zu wahren Hindernisläufen gezwungen wird, steht die öffentliche Meinung hinter Macron. Noch. Denn das soziale Klima in Frankreich ist gereizt, die Unzufriedenheit wächst.

Zu den protestierenden Bähnlern gesellen sich die Staatsangestellten, deren Zahl in den kommenden Jahren um 120'000 sinken soll. Dazu kommen die Studenten, die sich gegen die Umgestaltung des «bac», der Matur und den selektiveren Zugang zu den Universitäten wehren. Doch die einzelnen Protestbewegungen fliessen bislang nicht zusammen, zu verschieden sind die Interessen.

«Was Reformen angeht, ist eine doch deutliche Mehrheit der Franzosen dafür. Doch die Grundfrage dreht sich weniger um Reformen, als darum wie man sie anpackt», ist Cynthia Fleury überzeugt. Mehr Pädagogie, mehr Erklärungen des Präsidenten täten not. «Die Franzosen sind zwar in vielen Punkten ziemlich konservativ. Aber sie hängen auch an einer Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit. Um solche Fragen muss Macron sich mehr kümmern. Ich glaube, er hat das auch erkannt.»

Emmanuel Macron hat Frankreich jetzt schon verändert, doch was seine Reformen bringen, wird sich bestenfalls in drei, vier, fünf Jahren zeigen. Vier von zehn Franzosen sind auch bereit, abzuwarten. Doch 57 Prozent der Franzosen sind laut der neuesten Umfrage eher unzufrieden mit dem jungen Präsidenten. Innerhalb eines Jahres hat er bei der Zustimmungsrate 20 Prozentpunkte verloren. Die Ungeduld und Launenhaftigkeit der Franzosen ist wohl Macrons grösstes Handicap.

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