Nikos Giannopoulos arbeitete am 23. Juli 2018 in seinem Büro im Zentrum von Athen. Plötzlich rief ihn seine Frau an, sie war sehr aufgeregt: Sie sei von starkem Rauch und Feuer umgeben, in ihrem gemeinsamen Haus in Mati. Giannopoulos setzte sich sofort ins Auto und raste dorthin.
Als er sein Haus erreichte, brannte es schon. Ihm gelang es, seine Frau zu retten. Doch seine Mutter, die ebenfalls in der Nähe wohnte, starb in den Flammen. Bis zuletzt war Nikos Giannopoulos über das Handy mit ihr verbunden.
Ein Jahr später ist der Mann mit grauem Haar und Vollbart noch immer von dieser Tragödie gezeichnet: «Damals, als alles brannte, haben wir keine Hilfe bekommen.» Unterwegs habe er nur einige wenige, vollkommen überforderte Feuerwehrleute getroffen.
Was lief damals schief? «Alles», sagt Giannopoulos, «die Behörden haben versagt.» Er nennt nur ein Beispiel: Um Alarm zu schlagen, konnte man nicht einmal die Kirchglocken läuten. Denn heute werden Glocken nicht mehr mechanisch mit Seilen, sondern vollautomatisch geläutet. Weil aber der Brand die Stromzufuhr unterbrochen hatte, blieben selbst die Glocken stumm.
Weit mehr ins Gewicht fiel, dass an jenem Tag noch an einem zweiten Ort ein Feuer ausgebrochen war. Aus diesem Grund war ein grosser Teil der Feuerwehren bereits im Einsatz. Als es dann auch noch in Mati zu brennen begann, war die Feuerwehr überfordert.
Einer der wenigen Feuerwehrmänner, die vor Ort Hilfe leisteten, war Manos Tsalagios. Hören sie den Wind? Fragt er gleich zu Beginn des Gesprächs. «Solch starken Wind hatten wir auch vor einem Jahr. Die Kombination von grosser Hitze und starkem Wind fachte damals das Feuer an und beides zusammen sorgt auch heute wieder für die höchste Gefahrenstufe».
Zusammen mit einem Dutzend anderer Kollegen schiebt Tsalagios Feuerwache – heute sei alles ruhig. Die Feuerwehrleute von Mati wissen, dass die Überlebenden schwere Vorwürfe erheben.
Beim Brand vor einem Jahr, so Tsalagios, seien viele Umstände gegen sie gewesen: «Wegen des Windes raste das Feuer.» Um es wirkungsvoll zu bekämpfen, hätten sie Hilfe aus der Luft benötigt: Löschflugzeuge. Doch wegen des anderen Brandes waren lange keine verfügbar.
Weil keiner löschte, hatten viele Leute nur die eine Möglichkeit: Richtung Meer, Richtung Wasser zu fliehen. Doch die Strände sind an vielen Stellen privat, hohe Mauern oder Gitter verhindern den Zugang. Darum verbrannten Menschen in Sichtweite des rettenden Wassers.
Daraus müsse man Lehren ziehen, sagt Tsalagios und warnt davor, nun lediglich die Anschaffung zusätzlicher Löschflugzeuge zu fordern. Nötig wäre vor allem eine bessere Organisation. Es brauche zumindest für die Region um Athen, für Attika, eine zentrale Einsatzstelle für Feuerwehren. Es brauche eine Stelle, die die Übersicht habe und das Personal sowie die Mittel sinnvoll zuweise.
Auch Gavriil Xanthopoulos hat sich intensiv mit den Ursachen von Bränden in Griechenland auseinandergesetzt. Er ist Forst- und Feuerspezialist in Athen.
Die Hauptursache für die schweren Brände sieht Xanthopoulos nicht primär im Mangel an Personal und Ausrüstung. Das Hauptproblem sei die Vernachlässigung der griechischen Wälder: «Der kritische Punkt ist das brennbare Material, das in den Wäldern liegen bleibt: Fallholz, verdorrte Sträucher und trockenes Gras. Je mehr brennbares Material in einem Wald liegen bleibt, desto mächtiger wird ein Brand.»
Die Vernachlässigung der griechischen Wälder habe mit der Landflucht eingesetzt, erklärt Xanthopoulos. Ab den 1960er-Jahren wanderten Leute vom Land in die Stadt. Damals kamen auch Öl- und Gasheizungen auf. Darum gab es auf dem Land immer weniger Leute, die die Wälder pflegten, Holz sammelten oder bei Bränden wachsam waren. Seit dieser Zeit, sagt Xanthopoulos, nehmen in Griechenland die Waldbrände zu.
Eine andere Ursache sei das weit verbreitete illegale Bauen. Feuer ist unerbittlich, sagt der Forstexperte, es sucht sich immer den schwächsten Punkt: «Häuser in oder nahe von Wäldern müssten besonders feuersicher sein. Doch wer illegal baut, kümmert sich kaum um den Feuerschutz.» Diese Häuser und ihre Bewohner hätten oft keine Chance, einen Brand zu überleben. Auch viele Häuser, die vor einem Jahr in Mati verbrannten, waren ohne Bewilligung gebaut worden.
Lange hatte Griechenland nicht einmal einen Waldkataster. Darum sei es in dieser Zeit äusserst einfach gewesen, illegal am oder im Wald zu bauen. Jetzt aber erstelle die Verwaltung endlich einen solchen Kataster.
Die Frage, ob denn auch der Klimawandel die Brandgefahr erhöhe, hat Xanthopoulos erwartet. Doch er warnt davor, die ganze Schuld dem Klimawandel zuzuschieben. Sicher, Hitze und Trockenheit seien Risikofaktoren. Die Einhaltung der Klimaziele sei darum wichtig. Doch er beharrt: In ganz Südeuropa habe man die Wälder zu lange vernachlässigt. Das müsse man ändern. Und dazu brauche es viel Entschlossenheit und einen langen Atem.