Zum Inhalt springen

Ein Land in Sorge um Ostern Polen vor dem religiösen Stresstest

Ein erzkatholisches Land muss den hohen Feiertag mit Corona meistern. Pragmatische Lösungen haben es nicht leicht.

Die polnischen Bischöfe haben rechtzeitig vor Ostern verkündet: Ostern ohne Messe in der Kirche, das sei ausnahmsweise keine Sünde. Und bei Ostern zu Hause helfen Priester im Internet: «Das Familienoberhaupt muss den Osterkorb segnen; vielleicht haben Sie dafür ja noch Weihwasser von Weihnachten übrig.» Pragmatismus in der Pandemie.

Das Virus als Strafe

Doch nicht überall: Das Virus sei eine Strafe Gottes – für Homosexualität und Abtreibung, predigt ein Priester in der Stadt Wroclaw vor seiner Gemeinde. Danach bittet die Kirche um Verzeihung, das sei nicht ihre offizielle Haltung.

In Polen hat die Regierung fast nur lobende Worte für die Kirche. Der Wunsch der Gläubigen nach der Messe sei tief, sagt der Wissenschaftsminister. Wenn man sich sonst schon nirgends treffen könne, dann doch wenigstens dort.

Zeit für mehr Gebete, aber …

In Polen dürfen die Menschen gerade höchstens zu zweit auf die Strasse, und auch dann mit Abstand. Blütenknospen brechen auf in gesperrten Parks; Cafés, Läden, Kinos – alles zu. In die Kirche dürfen bloss fünf Leute gleichzeitig.

Eigentlich wäre jetzt die Zeit für mehr Gebete, mehr Messen, findet Erzbischof Stanislaw Gadecki, doch er ergänzt: «Wir müssen Anweisungen von oben befolgen, vorsichtig sein während der Epidemie.»

Eine Petition mit Achtungserfolg

Eifrige aber rufen «Christen-Diskriminierung». Zehntausende unterschreiben eine Petition für offene Kirchen an Ostern.

Ostpolen, ein Städtchen, ein Beitrag im nationalen Fernsehen: Dutzende Menschen sind in der Kirche, obwohl das im Moment verboten ist. Den Priester erwartet jetzt die Polizei. Ähnliches sei auch anderswo passiert, komme an Ostern bestimmt wieder vor.

Katholische Kirche in Polen.
Legende: Ganz so leer wird es an Ostern nicht sein: 50 Personen dürfen neu in Polen an Gottesdiensten teilnehmen. imago images

Mundkommunion oder Höllenqualen

Der Priester legt den Kirchgängern die Hostie entweder auf die Hand oder in den Mund. «Würdiger» sei in den Mund, finden viele in der Kirche. Würdig vielleicht, aber nicht ideal in Corona-Zeiten, entgegnen andere.

Der Streit ist erbittert, wie die Äusserung dieses Erzbischofs zeigt: «Wenn die Polen noch wirklich gläubig sind und nicht so degeneriert wie der Westen, empfangen sie die Hostie weiterhin mit dem Mund. Corona ist doch bloss eine Ausrede für faule Priester. Wer die Hostie nicht in den Mund legt, landet in der Hölle.»

Segen per Flugzeug

Zu diesem Osterfest in fast leeren Kirchen sagt die polnische Kirchenspitze zähneknirschend Ja. Einflussreiche Kirchenmänner wettern zwar und weigern sich, andere macht die Not aber auch erfinderisch: So fliegt jetzt ein Priester kurz vor Ostern in einem Kleinflugzeug über die Stadt Wroclaw – mit Reliquien an Bord und feierlicher Musik. Er segnet die Stadt zum Schutz vor Corona.

Immerhin hebe er fast allein ab, könne also kaum jemanden anstecken – so kommentieren das all jene Polinnen und Polen, die befürchten, dass die Corona-Ansteckungen durch volle Kirchen am Osterfest noch stärker zunehmen.

Rendez-vous, 09.04.2020, 12:30 Uhr

Meistgelesene Artikel