Zum Inhalt springen

Header

Video
Crofoot, Orientalist: «Das wird für immer verloren sein»
Aus News-Clip vom 22.11.2017.
abspielen. Laufzeit 28 Sekunden.
Inhalt

Ein Tal vor der Flut «Wir wollen hier nicht weg»

Der Ilisu-Staudamm im Südosten der Türkei wird das historische Städtchen Hasankeyf und 200 weitere Siedlungen fluten. Mehrere zehntausend Menschen müssen umgesiedelt werden. Sie seien kaum informiert, klagen die Betroffenen.

Arif Ayhan sitzt an seinem Webstuhl. Er webt an einem Kilim, einem Teppich aus Schafwolle. Mit einem Kamm schiebt er die gewobenen Bahnen näher zusammen. Danach muss er ein Schiffchen entwirren, jenes mit dem violetten Garn.

Kürzlich bekam auch er, wie alle anderen im alten Bazaar von Hasankeyf, den offiziellen Brief mit dem Auszugsdatum: Ende Jahr. «Wir wollen hier nicht weg, aber was können wir machen? Nichts», klagt Ayhan.

Video
Ayhan, Teppichhändler: «Wir fühlen uns vom Staat betrogen»
Aus News-Clip vom 22.11.2017.
abspielen. Laufzeit 19 Sekunden.

Umzug nach mehr als 500 Jahren

Er will gehört haben, dass die Behörden das nahe Minarett verschieben und es nach Neu-Hasankeyf auf der anderen Talseite transportieren wollen, auf einer eigens dafür erstellten Strasse, die so breit sein werde, dass zuerst die Werkstätten und Läden des Bazaar abgerissen werden müssten.

Bereits im Mai sind die Bewohner Zeugen einer grossen Zügelaktion geworden. Damals wurde das mehr als 500 Jahre alte Zeynelbey-Grabmal vom Ufer des Tigris in den Archäologie-Park in Neu-Hasankeyf versetzt – in eine Art Disneyland für alte Monumente, wie Kritiker monieren.

Der Ilisu-Damm ist einer der umstrittensten Wasserkraftwerk-Bauten. Ursprünglich sollten auch Schweizer Firmen mitbauen. Doch der Widerstand war von Anfang an gross. Es gab Demonstrationen und NGOs sammelten Unterschriften gegen den Bau. Denn die Türkei hatte weder für die Umsiedlungen, noch den Umwelt- oder den Kulturgüterschutz überzeugende Pläne vorlegen können – trotz mehrmaligen Anmahnungen durch ausländische Regierungen und internationale Organisationen.

Die Schweiz macht nicht mit

2009 annullierte darum der Bundesrat die Exportrisiko-Garantie. Die meisten Schweizer Firmen zogen sich zurück. Allerdings nicht alle: Die Ingenieure von Stucky, die heute zur Gruner Gruppe gehören, und die Firma Maggia aus Locarno machten trotzdem weiter. Auf eine aktuelle Stellungnahme wollen beide Unternehmen verzichten, wie sie SRF schrieben. In ihren Imagebroschüren werden Arbeiten am Ilisu-Staudamm allerdings stolz präsentiert.

Der Ilisu-Staudamm

Box aufklappenBox zuklappen

Der Damm ist ein Teil eines Grossprojekts GAP, das dem wirtschaftlich rückständigen Südosten der Türkei den Fortschritt bringen soll. Erste Pläne für die Nutzung der Wasserkraft des Tigris reichen in die 1950er Jahre zurück.

Hasankeyf, das Städtchen mit seinen 3000 Einwohnern am Tigris, war einst ein wichtiger Knotenpunkt der Seidenstrasse auf dem Weg ins Morgenland. Auch die Römer siedelten hier und es gibt Spuren aus Byzantinischer Zeit, als Hasankeyf Bischofssitz war.

Im September haben Bauarbeiter unerwartet am Fusse der mittelalterlichen Stadtanlage mit Sprengungen angefangen. Erst die Detonationen haben die Einwohner alarmiert. Dabei sollen auch alte Wohnhöhlen beschädigt worden sein. Offiziell heisst es, man tue diese Arbeiten aus Sicherheitsgründen – wegen drohendem Steinschlag. Die Bewohner glauben dieser Erklärung nur halbwegs.

«Wissen ist Macht»

«Warum war die Bevölkerung nicht vorinformiert über die Sprengungen?», fragt John Crofoot rhetorisch. Der amerikanische Orientalist und Aktivist sitzt in einer kleinen Imbisstube und isst einen Käsetoast, schwarze Oliven und Tomaten als Garnitur dazu. Crofoot verbringt seit einigen Jahren die meiste Zeit in Hasankeyf.

Er hat beobachtet, dass rund um das Staudamm-Projekt und die Umsiedlung wenig Transparenz herrsche und statt gesicherten Informationen Gerüchte und Verschwörungstheorien die Runde machten. Doch dieser Mangel an Transparenz könne auch Teil der Regierungsstrategie sein, wiegt der Mittfünfziger ab: «Wissen ist Macht. Indem die Informationen nicht oder nur partiell geteilt werden, hält man die Leute klein.»

Er selber wollte sich Informationen über die Umsiedlung der Monumente in den Archäologie-Park besorgen. Bis heute weiss John Crofoot nicht genau, wann und welche Bauten verschoben werden sollen.

Video
Crofoot, Orientalist: «Für mich ist es unglaublich»
Aus News-Clip vom 22.11.2017.
abspielen. Laufzeit 17 Sekunden.

Know-how nicht vorhanden

Das Zeynelbey-Grabmal wurde im Mai unter der technischen Leitung einer holländischen Firma versetzt. Das Know-how für einen solchen Transport sei in der Türkei nicht vorhanden, sagt Orientalist Crofoot. Für ihn ist es unfassbar, dass ausgerechnet eine europäische Firma hier als Steigbügelhalter fungierte und das allerwichtigste kulturelle Erbe aus Hasankeyf heraustransportiert hat.

Zurück in der Webstube: Arif Ayhan, der Weber in vierter Generation, streicht mit seiner Hand über den Teppich. Ob er es noch schafft, ihn fertig zu machen? Den alten Webstuhl wird er nicht mitnehmen können in die Retortenstadt.

Der Ilisu-Staudamm und die Schweiz

1997 erhält die Sulzer Hydro (ab 2000 VA Tech Hydro GmbH) den Zuschlag, den Damm zu bauen. ABB Power Generatoren (später Alstom) soll die Elektromechanik liefern. Die Unternehmen bewerben sich um eine Exportrisikogarantie des Bundes. Die UBS soll die Finanzierung sicherstellen. Das Projekt erfährt massiven Widerstand, es wird demonstriert und Unterschriften werden gesammelt. Die Türkei erfüllt Mindestanforderungen nicht in Sachen Umsiedlung, Umwelt- und Kulturgüterschutz.
2002 ziehen sich die UBS und schwedische Firmen zurück aus Angst vor Reputationsschäden, nachdem bereits ein Jahr zuvor Unternehmen aus Italien und Grossbritannien einen Rückzieher gemacht hatten. Das Baukonsortium fällt auseinander.
2004 wird ein zweites Konsortium gebildet, in dem nebst Schweizer Firmen auch Unternehmen aus Österreich, Deutschland und der Türkei vertreten sind.
2007 erteilen die Regierungen der Schweiz, Deutschlands und Österreichs Exportrisikogarantien, da die Türkei zugesagt hat, gewisse Bedingungen rund um die Umsiedlungen und den Naturschutz zu erfüllen.
2008 kommen internationale Experten zu einem vernichtenden Urteil in Bezug auf die Erfüllung der Bedingungen. Die internationale Gemeinschaft stellt ein Ultimatum.
Am 6. Juli 2009 läuft das Ultimatum ab. Einen Tag später erklären die drei Länder, dass sie die Exportrisikogarantien zurückziehen – etwas was es in der Schweiz noch nie gegeben hatte.
Schweizer Firmen ziehen sich darauf hin zurück. Stucky, heute Teil der Gruner Gruppe, Colenco (heute zur schwedischen AF Gruppe gehörend) und Maggia (heute IM Maggia Engineering SA) bleiben weiterhin an Bord und tragen mit ihrer Expertise zum Dammbau bei.
Im Herbst 2017 teilen alle noch involvierten Firmen SRF mit, dass sie keine Stellung nehmen wollen und verweisen für Fragen auf den Auftraggeber, die türkische Wasserbaubehörde DSI.
Im November 2017 ist der Ilisu-Staudamm praktisch fertig. Die türkische Regierungspresse teilt mit, mit ersten Flutungen werde Ende 2017 begonnen.
Video
Die Tage von Hasankeyf sind gezählt
Aus Tagesschau vom 14.11.2017.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 1 Sekunde.
Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel