Als der britische Premier Boris Johnson letzte Woche im Parlament verkündete, dass das «unveräusserliche Recht eines freien Briten, ein Pub zu besuchen» wieder in Kraft tritt, war die Erleichterung im Unterhaus deutlich hörbar: «Hallelujah!»
Freude in der «Roten Kuh»
Aufgeatmet hat auch Tom Dylan in der «Roten Kuh» in Richmond im Südwesten Londons. Dylan betreibt das Pub mit den dunklen Eichenbalken, den grünen Wänden und dem roten, hölzernen Kuhkopf seit 40 Jahren.
Die letzten 100 Tage hätten ihn krank gemacht, sagt er: «Ich habe es vermieden, in mein Lokal zu gehen. Denn die ‹Rote Kuh› war nicht mehr der Treffpunkt des Quartiers, sondern ein Geisterort. Ein Abbild des nationalen Lockdowns. Ein Anblick, der mich traurig machte.»
Ein Pub ist eine Mischung aus Bar, Schankstube und Wohnzimmer. Ein Ort, wo der Feierabend eingeläutet, aber auch debattiert und gespielt wird: Darts, Billard oder das typische Pub-Quiz. Das Pub ist ein zweites Zuhause, ein informelles Netzwerk, ein Treffpunkt.
Die ‹Rote Kuh› war nicht mehr der Treffpunkt des Quartiers, sondern ein Geisterort. Das war ein trauriger Anblick.
Und was selbst Tom Dylan immer noch beeindruckt: Im Pub existieren keine sozialen Barrieren. Es ist das Gegenbild der britischen Klassengesellschaft. Alle sind gleichwertig. An der Bar steht der Millionär neben einem Strassenarbeiter und sie debattieren miteinander.
Man identifiziert sich mit seinem Stammlokal. Das musste Tom Dylan vor einigen Jahren erfahren, als er sein Lokal neu gestrichen hat. Das neue Grün war ein bisschen heller als das alte. Das sei gar nicht gut angekommen: «Die Leute haben es nicht gern, wenn man ohne zu fragen ihr Wohnzimmer neu streicht.»
Eine Öffnung mit vielen Fragezeichen
Die Öffnung der Pubs hat in Grossbritannien in den vergangenen Tagen viel zu reden gegeben. Die Polizei fürchtet wüste Szenen. Kritiker sind empört, dass Pubs früher wieder öffnen dürfen als die meisten Schulen.
Tom Dylan ist nicht sicher, ob sich die Leute tatsächlich wieder aus dem Haus wagen. Eine kleine Umfrage auf der Strasse zeigt, dass seine Befürchtungen nicht ganz unbegründet sind.
«Einsamkeit macht auch krank»
Ein Passant stellt fest: «Schön, wenn die Pubs wieder aufgehen, nur werden die Regeln sehr strikt sein. Soziale Distanz, Desinfektionsmittel. Reservierte Plätze. Das wird hart.» Eine Passantin ergänzt: «Da wird das Chaos herrschen. Die Leute werden völlig aus dem Häuschen sein – da gehen wir lieber nicht hin.»
Tom Dylan zuckt mit den Schultern. Man werde sehen. Das Virus sei gefährlich, aber Einsamkeit mache auch krank. Sagts, erhebt sich, schlurft hinter die Theke und drückt einige Knöpfe an Musikanlage: I want see my friends – was hier ertönt, ist die Hymne der «Roten Kuh».
Soziale Distanz und Pub - geht das überhaupt?
Am Samstag wird sie nur ganz leise zu hören sein. So wollen es die Regeln: Aus zwei Metern sozialer Distanz machten die Behörden zwar «einen Meter plus». Aber nur bei leiser Musik, damit die Leute weder singen noch laut reden.
Die Gäste dürfen zudem nicht an der Bar stehen, sondern müssen an reservierten Tischen sitzen. Keine Musik sei ganz schlecht fürs Geschäft, sagt Tom Dylan. Denn die gehöre wie das Singen zum Pub: «Doch unabhängig davon, ob soziale Distanz und Pub ein Widerspruch sind – wir müssen die Regeln zum Schutz unserer Gäste umsetzen.»
Ob sich die Gäste an die Regeln halten werden, ist eine andere Frage. Die Wahrscheinlichkeit, dass nach drei Gläsern Bier aus einem Meter «plus» ein Meter «minus» wird, ist so gross wie real.