Die Isle de Jean Charles ist ein Eiland vor der Küste Louisianas. In den letzten Jahren sind wegen schwerer Wirbelstürme, natürlicher Erosion und steigender Meeresspiegel 90 Prozent der Insel im Golf von Mexiko versunken. Für die letzten Bewohner wird es gefährlich – und doch wollen nicht alle gehen.
Es ist angenehm warm auf der Insel, keine Glutofenhitze, wie auf dem Festland. Sanft züngelt das Meer ans Ufer, eine milde Brise streichelt das Gras. Im Schatten seines Hauses sitzt Chris Burnett und ist zufrieden mit sich und der Welt.
Die Isle de Jean Charles ist ein Paradies, das Burnetts Vorväter seit 1830 besiedelt haben. Nachkommen eines französischen Trappers und einer Choctaw-Indianerin (Schaggta), die von ihren Zeitgenossen in die Sümpfe Süd-Louisianas vertrieben worden waren.
Hier fanden sie Ruhe und ein Auskommen. Die abgelegene Insel, 120 Kilometer südwestlich von New Orleans, war damals rund 150 Quadratkilometer gross, fruchtbar und von Süsswasser umgeben. Die Bewohner lebten vom Fischfang und bauten Reis und Gemüse an.
Doch das ist längst vorbei. Seit der Mississippi in den 1930er Jahren kanalisiert wurde, gelangt kein Geschiebe mehr ins Marschland von Süd-Louisiana: die Erosion nimmt zu, Wirbelstürme werden heftiger, Salzwasser verdrängt Frischwasser.
Bewohner hoffen immer noch auf Rettung
Der Landverlust ist dramatisch. Die letzten Insel-Bewohner sitzen auf einem schmalen Streifen Land, wenig mehr als 3 Kilometer lang und kaum 400 Meter breit. Flutwellen und Hurrikane sind eine ständige Bedrohung.
Wegen der Landerosion fehlten die natürlichen Sturmbarrieren, sagt Chris. Bereits verhältnismässig schwache Stürme führen zu Flutwellen, die die Insel überschwemmen.
Chris sitzt nicht neben, sondern unter seinem Haus – alle Häuser auf Jean Charles wurden entweder von ihren Bewohnern schon aufgegeben oder auf über 4 Meter hohe Stelzen gehievt.
Auch die einzige Kneipe auf der Insel hat Stelzen, das «Marina» im kleinen Bootshafen, wo der 81-jährige Theo Chaisson auch einen kleinen Laden führt. Theo Chaisson ist auf Isle de jean Charles geboren und aufgewachsen. Er liebe alles an und auf der Insel, die Leute vor allem. Das seien alles seine Verwandten – und ja: die Insel verschwinde – aber müssten nicht alle einmal sterben?
Theos Gäste draussen in der Gartenwirtschaft auf den 4 Meter hohen Stelzen nehmen das weniger fatalistisch: «Das ist doch unser Leben hier», sagt Richard Porter, ein hünenhafter Mittfünfziger mit tätowierten Oberarmen. Die Insel könnte noch immer gerettet werden, wenn die Behörden schnell und richtig handelten.
Sie müssten Deiche öffnen und den Mississippi wieder mit seinem Umland verbinden, damit sein Geschiebe neues Land schaffen kann, sagt Porter, der als Schleppboot-Kapitän die Gegend bestens kennt. Jetzt müsse es vorwärts gehen, die Insel verschwinde schnell.
Ersatzland für die letzten Bewohner
Tatsächlich ist es für Jean Charles wohl schon zu spät. Die letzten gut 60 Bewohner müssen umziehen. Der Staat Louisiana bietet ihnen Ersatzparzellen an – nördlich der Stadt Houma, 40 Kilometer landeinwärts. 2022 soll der Umzug abgeschlossen sein.
Der Deal ist umstritten und viele Details sind noch unklar, aber Chris Burnett wird das Angebot wohl annehmen. Nicht weil er das Leben auf der Insel satt habe, betont der 53-Jährige, sondern weil er schlicht keine Alternative sehe.
Aber selbst wenn er mal auf dem Festland wohne, er werde so oft wie möglich nach Jean Charles zurückkehren, verspricht Burnett. Auch wenn alle den Untergang der Insel prophezeihten – vorläufig sei sie immer noch da.