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Ende der Normalisierung? Israel – isoliert auf Zeit

Mit dem Terroranschlag vom 7. Oktober wollte die Hamas möglichst viele Jüdinnen und Juden töten – und Israel politisch isolieren. In dieser Analyse sind sich die meisten westlichen Beobachter einig. Und es scheint, als sei die Hamas ihrem politischen Ziel nähergekommen.

Zwar bekundeten im Westen viele Solidarität mit Israel: Die USA versprechen «standhafte Unterstützung», in Paris wurde die israelische Flagge auf den Eiffelturm projiziert, in Berlin aufs Brandenburger Tor.

Doch in den arabischen Staaten wächst die Empörung über die zivilen Opfer von Israels Anti-Terror-Krieg im Gazastreifen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, ein Verbündeter der USA, wirft Israel «Gräueltaten» vor. Jordanien und Bahrain haben ihre Botschafter aus Israel zurückberufen. Das tunesische Parlament berät ein Gesetz, das normale Beziehungen mit Israel zum «Hochverrat» erklären würde.

Israels schwindender Rückhalt

Aber auch im Westen wächst die Kritik. In der UNO stimmten Frankreich und Spanien für eine Resolution, die eine «humanitäre Feuerpause» hin zu einer «Waffenruhe» fordert. Eine Expertengruppe der UNO warnt gar vor einem «Völkermord» an den Palästinensern. Und erstmals sprach sich vor ein paar Tagen auch US-Präsident Joe Biden für eine «Pause» aus – was Israel als Schwächung des Anti-Terror-Kriegs zurückweist.

Droht Israel die politische Isolation? Endet die israelisch-arabische Annäherung, auf der vor dem 7. Oktober viele Hoffnungen ruhten?

Noch am 22. September schwärmte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in der UNO von «Frieden und Wohlstand». Er bezog sich auf die Abraham-Abkommen von Ex-US-Präsident Donald Trump. Mit ihnen hatte Israel seine Beziehungen zu vier Staaten normalisiert, darunter Bahrain. Als nächster wäre Saudi-Arabien an der Reihe gewesen. Mit Jordanien und Ägypten hatte Israel schon vor Jahrzehnten Frieden geschlossen.

Vorerst liegt die Annäherung auf Eis

Mit dieser Normalisierung ist es fürs Erste vorbei. Sollte nach der Hamas auch die libanesische Hisbollah Israel angreifen, droht Nahost gar ein grosser Krieg. Für Israel hätte das Jahre, vielleicht Jahrzehnte der Isolation zur Folge. Doch vieles spricht dafür, dass auch in diesem Fall die Normalisierung bloss aufgeschoben wäre – nicht aber aufgehoben.

Denn für die arabischen Staaten standen bei der Normalisierung wirtschaftliche und militärische Interessen im Vordergrund. Die USA versprachen Handel, Hightech und Waffen – das Interesse daran besteht weiter. Zumal die USA in Nahost noch immer der einflussreichste Staat sind.

Saudi-Arabien zum Beispiel will in die Atomenergie einsteigen und will dafür die Unterstützung der USA. Manche vermuten gar die Absicht, eine Atombombe zu bauen, sobald auch der Rivale Iran eine hat.

Eine Frage der Interessenabwägung

Ohnehin zeigen die vergangenen 75 Jahre – seit der Gründung Israels –, dass die Palästinenser von den arabischen Staaten zwar immer wieder Solidaritätsbekundungen erwarten konnten, oft aber nicht jenen politischen Beistand, den sie sich erhofft hatten. Weil für die Machthaber in Nahost andere Interessen im Vordergrund standen.

Kurzum: Der Hamas ist es gelungen, Israel kurzfristig zu isolieren. Langfristig hat sie aber vielleicht bloss den Preis erhöht, den namentlich die USA für die arabisch-israelische Annäherung bezahlen müssen.

Sebastian Ramspeck und Christina Brun

Internationaler Korrespondent und Produzentin #SRFglobal

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Sebastian Ramspeck ist internationaler Korrespondent für SRF. Zuvor war er Korrespondent in Brüssel und arbeitete als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

Christina Brun ist die Produzentin von #SRFglobal, dem geopolitischen Auslandsmagazin von SRF. Zuvor war sie als Freischaffende unterwegs. Brun studiert nebst ihrer Arbeit bei SRF International Security an der Universität Harvard.

#SRFglobal, 2.11.2023, 22:25 Uhr

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