An der Münchner Sicherheitskonferenz zeichneten Politiker ein düsteres Bild. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagte etwa, die EU müsse aufrüsten und sie müsse bereit sein, «das eigene militärische Gewicht auch tatsächlich einzusetzen». Ähnlich tönt es aus Frankreich: Die EU sei in der Lage, in absehbarer Zeit so stark aufzurüsten, dass Unterstützung durch die USA nicht mehr nötig sei. Für Friedensforscher Laurent Goetschel ist klar: Die weltpolitische Landschaft hat sich verändert – Alarmismus erteilt er aber eine Absage.
SRF News: Wille zum Aufrüsten und damit letztendlich Bereitschaft zum Krieg: Wie geht es Ihnen als Friedensforscher, wenn Sie das hören?
Laurent Goetschel: Einerseits verstehe ich, dass in Anbetracht der aktuellen weltpolitischen Lage solche Töne angeschlagen werden. Andererseits bin ich sehr ernüchtert, weil seit Ende des Kalten Krieges vieles in der Weltpolitik darauf hindeutete, dass solche Töne eher in den Hintergrund gedrängt und Friedensförderung, mehr Bestrebungen zur Bearbeitung von Konfliktursachen stärker im Zentrum stehen würden.
Aufrüstung und Abschreckung statt Abrüstung und Befriedung der Welt: Was hat sich verändert und in welchem Zeitraum?
Wahrscheinlich hat sich gar nicht so viel verändert. Wir hatten ja nie eine Welt ohne Gewaltkonflikte. Wir kennen auch keine Welt, in der Rüstungsfragen und Sicherheitspolitik irrelevant gewesen wären. Allerdings war es so, dass mehr Friedensinitiativen und -bestrebungen lanciert wurden.
Die Nato war und ist nach wie vor ein Militärbündnis. Sie hat nie eine Friedensrolle wahrgenommen, auch wenn man das manchmal geglaubt hat.
Diese Initiativen wurden von einer grossen Anzahl von Staaten, vor allem von europäischen, aber auch den USA, getragen. Dort hat sich in den letzten Monaten und Jahren auf personalpolitischer Ebene einiges verändert. Aber, und das darf man nicht vergessen: Vor allem auch in aussereuropäischen Ländern – etwa Russland oder auch der Türkei – hat sich einiges in der politischen Landschaft verändert.
Gehört es in der Politik der Mächtigen zum guten Ton, als Zeichen der Stärke zu drohen und zu poltern?
Die internationalen Beziehungen und die Weltpolitik waren noch nie eine Domäne von Engeln. Macht, auch militärische, spielte immer eine grosse Rolle. Allerdings gab und gibt es zahlreiche wichtige Bestrebungen, diesem reinen Machtstreben etwas Einhalt zu gebieten. Beziehungsweise die Politikerinnen und Politiker in eine Richtung zu bewegen, dass dieses Machtgeplänkel zwar kurzfristig als zweckmässig erscheinen kann, mittel- bis langfristig aber kaum je zum Ziel führt.
Derzeit scheint sich eine kriegerische Haltung auszubreiten: Die UNO-Blauhelme, die eigentlich für Frieden sorgen sollten, wollen angriffiger werden; die Nato droht Russland offen. Was setzen Sie dem als Friedensforscher entgegen?
Bei den UNO-Missionen gab es immer schon eine Diskussion darüber, wie stark sie eine militärische Rolle wahrnehmen sollen. Die Nato wiederum war und ist nach wie vor ein Militärbündnis, eine Verteidigungsorganisation. Sie hat nie eine Friedensrolle wahrgenommen, auch wenn man das manchmal geglaubt hat.
Persönlich glaube ich nicht, dass die Welt unsicherer geworden ist – trotz der Rhetorik, die wir derzeit beobachten können.
Die Nato ist ein Instrument der letzten Möglichkeit, wenn alles andere versagt hat. So gesehen gab es verschiedene Debatten, die zu verschiedenen Zeiten geführt wurden. Jetzt sind wir eher wieder auf Konfrontationskurs.
Ist die Welt jetzt unsicherer geworden?
Das ist eine subjektive Frage, die man anhand verschiedener Indikatoren zu messen versuchen kann. Tatsache ist, dass es zurzeit mehr sichtbare Konflikte gibt: Der Krieg in Syrien, der Krieg im Jemen, die Eskalation auf der koreanischen Halbinsel, den unschönen Zustand in Libyen. All diese Konflikte werden wahrgenommen. Deswegen haben wir wohl das Gefühl, dass die Welt unsicherer geworden ist. Persönlich glaube ich dies nicht – trotz der Rhetorik, die wir derzeit beobachten können.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.