Während in den USA eine Vielzahl der Bundesstaaten die Lockdown-Massnahmen lockern, steht das Leben in der Hauptstadtregion weiterhin still. Im Meridian Hill Park im Quartier «Columbia Heights» sorgt die Armee für Ordnung.
Der Park war in den sechziger Jahren «Ground Zero» der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Ältere Anwohner nennen die fünf Hektaren Grünfläche mitten in Washington deshalb immer noch «Malcom X Park». Es gelten strikte Distanzierungsregeln, und Maskentragen wäre eigentlich Pflicht.
Die «Columbia Heights» sind heute gentrifiziert – doch im Park mischen sich die sozialen Klassen: Yuppies, Familien Sozialbezüger und Obdachlose spazieren, faulenzen oder stählen ihre Muskeln. Auf einem Schachtisch hat jemand eine bescheidene Lebensmittel-Spende hinterlassen. Karottenbüchsen statt Schachfiguren.
Die wohlhabenden Zuzüger decken sich derweil im Gourmet Markt ein, wo sich einzelne Toilettenpapierrollen und aromatisiertes Lifestyle-Wasser hamstern lassen.
Die «Columbia Heights» sind von der Pandemie stark betroffen. Die Mehrheit der Bewohner sind Latinos und Afro-AmerikanerInnen und gehören zu Risikogruppen. Viele leben in engen und vernachlässigten Sozialwohnungen, wo sich die Epidemie schnell ausbreiten konnte. Besonders die afro-amerikanische Bevölkerung Washingtons ist überdurchschnittlich von Covid-19 betroffen – sie machen rund 80 Prozent der Todesopfer aus, bei einem Bevölkerungsanteil von gut 40 Prozent.
Junge, arbeitslose Männer treffen sich vor der Apotheke; Obdachlose betteln um Geld oder Essen. Die Polizei steht auf der anderen Strassenseite und treibt sich versammelnde Gruppen auseinander. Trotz strikter Lockdown-Verordnung seit dem 25. März nimmt die Infektionsrate erst seit dieser Woche leicht ab. Im District of Columbia, wie Washington korrekt heisst, sind bisher über 6800 Personen positiv getestet worden, 368 infizierte Personen sind gestorben. Die Stadt zählt rund 700'000 Einwohner.
Vor einem Sozialbau stehen die Überreste einer Abdankungsfeier. Zwei Bewohner sind kürzlich gestorben – Todesursache unbekannt.
Ein Mann baut sich vor mir auf – er mag es nicht, dass ich fotografiere. Wie erlebt er die Epidemie? «Crazy times. But you know, that’s life.» Er nimmt den Ausnahmezustand gelassen.
Der demokratische Sozialist Andy demonstriert einsam gegen den Kapitalismus. Die Epidemie enthüllt seiner Meinung nach die brutale Realitäten der US-Gesellschaft. Covid-19 wirkt sich in den USA tatsächlich je nach Gesellschaftsschicht unterschiedlich aus. Reiche isolieren sich in ihren Villen – die einfachen Arbeiter und Arbeiterinnen werden zurück in die Fabriken, Restaurants und Läden geschickt, um die Wirtschaft zu retten.
Fast 35 Millionen US-Arbeiter und Arbeiterinnen haben wegen der Corona-Krise ihre Jobs verloren. Millionen leiden Hunger, auch in der Hauptstadt stehen die Leute Schlange bei Lebensmittelnothilfen.
In den «Columbia Heights» ist die Corona-Krise noch lange nicht vorüber. Die Menschen reagieren mit Verzweiflung, Gleichmut und Heiterkeit. Der US-Optimismus ist auch hier, an diesem Hotspot der Epidemie, nicht unterzukriegen: «Everything will be OK.»