Neben den Ruinen von Muhtadins Haus steht ein kleines Lamm. Es wirkt etwas verloren hier zwischen den eingestürzten Mauern in diesem kleinen, staubigen Dorf Selengen im Norden Lomboks. Von Muhtadins Haus sind einzig die grünen Bodenplatten übriggeblieben.
Nur mein Bruder und seine Frau waren im Haus. Sie kamen rechtzeitig raus, bevor die Mauern zusammenkrachten.
«Hier in diesem Zimmer hatten meine Eltern geschlafen, in dem nebenan ich und mein Bruder», erklärt der 20-jährige Bauernsohn und zeigt auf unterschiedliche Stellen auf den grünen Platten. Das Haus wurde beim zweiten noch heftigeren Erdbeben zerstört. An jenem Abend habe seine Familie draussen ein Fest gefeiert: «Nur mein Bruder und seine Frau waren im Haus. Sie kamen rechtzeitig raus, bevor die Mauern zusammenkrachten.»
Zwei der 600 Dorfbewohner hatten nicht dasselbe Glück. Sie starben genauso wie 500 andere Inselbewohner. Ungefähr 8000 Menschen wurden verletzt, schätzungsweise 140'000 Häuser wurden durch die Erdbeben ganz oder teilweise zerstört. Ihren Besitzern hat die Regierung Entschädigung versprochen, aber angekommen ist diese bislang nicht – auch nicht im kleinen Selengen, wo die Menschen nun in Zelten leben.
Wasser und Reis brauchen wir am dringendsten.
An diesem Morgen haben sich Kinder um ein paar Helfer einer Privatschule aus Surabaya geschart. Die Männer verteilen Schocko-Drinks und Schulmaterial. Sie sind Teil einer ganzen Armee von Freiwilligen, die inzwischen nach Lombok gekommen ist, um zu helfen. Doch noch fehle es an allen Ecken und Enden, sagt der Dorfchef Sapryandi: «Das Rote Kreuz war hier und hat uns einen Wassertank hingestellt, aber er ist schon lange leer und wir müssen nun selbst Wasser besorgen. Wasser und Reis brauchen wir am dringendsten.»
Im Hauptquartier des Indonesischen Roten Kreuzes, das in der kleinen Stadt Mataram liegt, geht die Mediensprecherin Sydney Morton vorbei an Mitarbeitern, die Rollstühle einpacken. Am Boden liegen Packungen mit Nahrungsmitteln, Decken und Zelten. Das Ausmass der Zerstörung sei gewaltig, sagt Morton.
«Die Erdbeben haben 75 Prozent aller Gebäude im Norden ganz oder teilweise zerstört. Auch wichtige Gebäude wie Schulen und Moscheen wurden zerstört und das Gemeinschaftsleben wurde zerrüttet», erklärt Morton weiter. Die ständigen Nachbeben machten es den Leuten fast unmöglich, zu einer Normalität zurückzufinden, sich zu entspannen und mit dem Aufbau zu beginnen.
Hilfe von Wohltätern
In einigen Gebieten haben die Menschen bereits mit dem Aufräumen und Aufbauen begonnen – oft mit Hilfe von Wohltätern. Im Dorf Sire, ebenfalls im Norden, erhalten die Dorfbewohner Unterstützung vom Luxus-Hotel Tugu.
Die Hotelmanagerin Hanny Zulfina zeigt auf ein neues Bambushaus, das mit Spenden des Hotels gebaut wurde. Bambusbauten sind sicherer als oft schlecht gebaute Betonhäuser. Das Hotel hat mit Hilfe von Spenden aus dem In- und Ausland Nahrungsmittel, Decken und Zelte gekauft. Das Personal fährt jeden Tag los, um sie zu verteilen. Doch auch das Tugu Hotel ist nicht verschont geblieben.
Das offene Restaurant, das mitten in einem prachtvollen Garten steht, sowie einige der Zimmer wurden beschädigt und müssen renoviert werden.
Die Tourismusindustrie ist eine der Haupteinnahmequellen der Inselbewohner. Sie sei hart getroffen worden durch die Erdbeben, sagt Hotelmanagerin Hanny Zulfina. «Wir hatten so viele Annullierungen, viele Hotels mussten schliessen und ihr Personal entlassen. Die Gili-Inseln, ein touristischer Hauptort, sind im Moment tote Inseln, auch wenn die Regierung sagt, sie seien jetzt wieder sicher.»
Das Tugu Hotel ist ebenfalls wie die meisten Hotels im Norden zurzeit geschlossen. Es werde am 20. September wiedereröffnet, sagt die Hotelmanagerin. Mit einem Nach-Erdbeben-Spezialpreis. Kommt nach Lombok, es ist sicher, sagt sie. Dann schaut sie auf ihr Smartphone und ihre meist benutze App – diese schickt ihr regelmässig Tsunami- und Erdbebenwarnungen. Denn noch heute schüttelt es regelmässig auf Lombok.
Die Erdbeben und die zahlreichen Nachbeben hinterlassen Spuren, nicht nur an den Gebäuden: Zwischen Hausruinen spielen ein paar Mädchen am Boden mit Sand. Salvia, die Mutter, sitzt daneben und schaut fern. Sie hat den Fernseher aus ihrem zerstörten Haus in ihrem kleinen Dorf im Norden der Insel gerettet und ihn unter einen offenen Unterstand gestellt. Sie und ihre vier Kinder kamen mit dem Leben davon, das Nachbarskind wurde während einem der Erdbeben von einem Haus begraben.
Die Angst sitzt tief
Sie würden jetzt im Zelt schlafen, sagen die Mutter und ihre kleine Tochter Alun Kamala gleichzeitig – das sei sicherer. Hunderttausende verloren ihr Zuhause. Doch die Angst sitzt auch jenen tief in den Knochen, deren Häuser noch stehen.
In einem Zeltlager im Norden der Insel beklagen sich die Lagerbewohner über die mörderische Hitze unter den Planen. Doch zurück in ihr Dorf am Meer wollen sie nicht. Er wolle auch nie mehr aufs Meer hinaus, sagt Suhaidi, ein Fischer: «Wir haben alle Angst. Nach dem grossen Erdbeben sahen wir eine haushohe Welle, die auf uns zukam. Ich werde meine Arbeit wechseln.»
Ich werde meine Arbeit wechseln.
Die Regierung hatte zuerst zwar vor einem Tsunami gewarnt, doch dann wieder Entwarnung gegeben. Mehr als 1500 Nachbeben haben die Insel Lombok seit Ende Juli erschüttert. Diese hielten die Angst wach, sagt Sydney Morton: «Es ist schwierig für die Menschen zur Normalität zurückzufinden und ihr Leben wiederaufzubauen, wenn die Erde ständig schüttelt.»
Das Rote Kreuz und das indonesische Militär schicken deshalb Hunderte von Freiwilligen in die zerstörten Dörfer. Sie spielen und singen mit den Kindern, vermitteln ihnen einen Sinn von Geborgenheit und Sicherheit – etwas, das den meisten Inselbewohnern auf dieser instabilen Erde abhanden gekommen ist.