Das Wichtigste in Kürze
- Im Kampf um Stimmen gegen ein Präsidialsystem in der Türkei muss die oppositionelle, prokurdische Partei HDP auf viele ihrer Spitzenvertreter verzichten , die zumeist im Gefängnis sitzen. 2500 Parteimitglieder sollen es insgesamt sein.
- Im Südosten des Landes, in den kurdischen Gebieten, sei es «schwierig und gefährlich» für die HDP, für ein «Nein» zu werben , sagt eine Parteivertreterin in Istanbul gegenüber Radio SRF.
- Meinungsforscher sagen, die unentschiedenen Wähler würden die Abstimmung entscheiden . Der Ausgang des Referendums sei deshalb nicht voraussehbar.
In der Türkei werben Befürworter und Gegner des Präsidialsystems um Stimmen. Am Ostersonntag wird über die umstrittene Verfassungsänderung abgestimmt, die dem Präsidenten sehr viel mehr Macht an die Hand geben wird.
Im Abstimmungskampf muss die oppositionelle, prokurdische Partei HDP auf viele ihrer personellen Zugpferde verzichten: viele Abgeordnete und Bürgermeister sitzen im Gefängnis – die Anklage lautet zumeist auf Terrorpropaganda und Verbindungen zur kurdischen Arbeiterpartei PKK.
Parteispitze und Abgeordnete im Gefängnis
Das HDP-Logo und der Stand sind von Weitem zu sehen – im konservativen Istanbuler Stadtteil Üsküdar. Und die HDP-Vertreterin, die hier am Stand für ihre Partei wirbt, räumt denn auch ein: «Es ist natürlich nicht leicht, hier zu stehen, wenn praktisch die ganze Parteispitze, Parlamentsabgeordnete und Bürgermeister im Gefängnis sitzen.» Doch sie, die mit ihren Kolleginnen für ein «Nein» am 16. April wirbt, gibt sich gleichwohl kämpferisch: «Wir sind benachteiligt, klar, aber damit können wir uns nicht aufhalten. Wir müssen weitermachen.»
Gemäss Angaben ihrer Partei sitzen derzeit rund 2500 Mitglieder der prokurdischen HDP in Haft. Darunter Stadtpräsidenten, lokale Politiker und auch zehn Abgeordnete des türkischen Parlamentes, wie der Parteichef Selahattin Demirtas. Der kurdische Anwalt und Politiker, ein unerschrockener Gegner von Präsident Erdogan, kämpfte an vorderster Front gegen das Präsidialsystem und gegen einen noch mächtigeren Staatspräsidenten Erdogan.
«Schwierig und gefährlich»
Nun fehlt Demirtas der Opposition. Doch seine Partei versteckt sich nicht – trotz Anfeindungen, wie die HDP-Aktivistin am Info-Stand in Istanbul betont: «Je näher die Abstimmung rückt, umso angespannter wird die Lage, nehmen die Provokationen zu. Aber das ist nicht neu für uns.»
Und sie vergleicht die Situation hier in der Millionenmetropole mit anderen Teilen des Landes: «In den grossen Städten wie Istanbul ist es eigentlich kein gravierendes Problem. Wir sind eine Stimme unter vielen. Im Südosten des Landes, in den kurdischen Gebieten, ist es schwierig und gefährlich für die HDP, für ein ‹Nein› zu werben.»
«Meinungen sind längst gemacht»
Wie andere Oppositionsparteien gehen auch die HDP-Mitglieder von Haus zu Haus, sprechen Bürgerinnen und Bürger direkt an. Denn die Opposition hat bei weitem nicht denselben Zugang zu den Medien und dieselben Mittel im Abstimmungskampf wie die regierende Partei AKP.
Trotzdem ist der Ausgang des Referendums nicht voraussehbar. Die Meinungsforscher sagen, die unentschiedenen Wähler würden die Abstimmung entscheiden. Die HDP-Aktivistin im Istanbuler Üsküdar-Stadtteil glaubt das allerdings nicht: «Die Meinungen sind längst gemacht. Die Leute sagen nur einfach nicht, wie sie stimmen werden.»
«Für beide Möglichkeiten gewappnet»
Niemand kann voraussagen, welche Seite gewinnen wird. «Wir sind für beide Möglichkeiten gewappnet», ergänzt die HDP-Aktivistin. Ein «Nein», so hofft sie, könnte ein positives Signal sein für die Opposition, auch für die gefangenen Parteimitglieder und die Parteispitze.
Eine Mehrheit für die Verfassungsänderung dagegen wäre eine neue Herausforderung. «Ein Ja hiesse für uns: Weitermachen und weiterkämpfen für das, was wir Demokratie und Gerechtigkeit nennen», betont die Frau hinter dem Stand der prokurdischen HDP in Istanbul.