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Erneute Verzögerungen Ungarn und die Nato-Erweiterung: Ein Schelm, wer Böses denkt

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: «Je mehr Druck es gibt, schnell zu entscheiden, desto mehr Zeit brauchen wir, um sorgfältig abzuwägen.» Das sagt ein wichtiger Parlamentarier der Partei von Regierungschef Viktor Orban. Und das klingt vernünftig, zumal für Schweizer Ohren. Im Sinn von: Ungarn ist ein unabhängiger Staat, wir lassen uns nicht zwingen, Schweden und Finnland möglichst schnell ins westliche Verteidigungsbündnis Nato aufzunehmen, auch wenn fast alle anderen Nato-Mitglieder schon letztes Jahr Ja gesagt haben.

Schauen wir uns also Ungarns Argumente an. Zuerst hiess es, nichts spreche gegen Schweden und Finnland in der Nato, Ungarns Parlament sei bloss zu beschäftigt damit, die ungarische Politik so zu gestalten, dass die Europäische Union zufrieden sei mit dem Land – keine Zeit für die Nato.

Das mag ja sein. Nur: Warum kann das ungarische Parlament in zwei Tagen die Ärztekammer de facto abschaffen oder das Steuersystem umgestalten? Warum braucht es gleichzeitig 240 Tage, um über Schwedens und Finnlands Nato-Mitgliedschaft zu befinden, so lang wie für praktisch kein anderes Geschäft in den letzten 13 Jahren, wenn ja gar nichts dagegen spricht?

Ungarn hofft auf Gegenleistung

Inzwischen sind andere Argumente aufgetaucht, eine richtige Debatte sei entbrannt in Viktor Orbans Partei, heisst es. Das ist ungewöhnlich, normalerweise folgen alle Viktor Orbans Entscheidungen, aber es mag ja sein. Jedenfalls hält Ungarn Finnland und vor allem Schweden für Ungarn-feindlich, jedenfalls ist eine Delegation aus Ungarn in den Norden gereist, um das genauer anzuschauen. Herausgekommen ist: Die beiden Länder seien Nato-tauglich, auch wenn sie Ungarn nicht verstünden, sagt der Chef der ungarischen Delegation.

Wer jetzt gar nichts mehr versteht, sollte die Türkei anschauen. Auch die Türkei zögert, Finnland und Schweden in die Nato zu lassen. Die Türkei soll nun US-Kampfflugzeuge bekommen, wenn sie Ja sagt. Und Schweden äussert sich kritischer als früher über Kurdinnen und Kurden, die der türkische Staat als Feinde betrachtet.

Auch Ungarn hofft nun, etwas zu bekommen. Das Land wartet auf viel Geld aus der EU – die EU hat das Geld blockiert. Sie sagt, Ungarn sei in vielerlei Hinsicht kein Rechtsstaat mehr, das Parlament zur Karikatur verkommen. Und ganz neu heisst es aus Ungarn: Wir können erst über Schweden und Finnland befinden, wenn die Verhandlungen mit der EU abgeschlossen sind. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Sarah Nowotny

Osteuropa-Korrespondentin

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Sarah Nowotny ist Osteuropa-Korrespondentin für SRF. Sie lebt in der polnischen Hauptstadt Warschau. Seit 2014 ist Nowotny bei Radio SRF tätig. Zuvor arbeitete sie für die «NZZ am Sonntag» und «Der Bund».

Rendez-vous, 20.03.2023, 12:30 Uhr

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