Zum Inhalt springen

EU-Beitritt der Türkei «Der Prozess sollte intakt bleiben»

Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind praktisch auf Eis gelegt. Der Politologe Josef Janning plädiert aber dafür, ein Türchen offenzulassen – auch aus wirtschaftlichen Gründen.

Josef Janning

Box aufklappen Box zuklappen
Janning
Legende: Imago

Der Politikwissenschaftler ist Leiter des Berliner Büros des «European Council on Foreign Relations» . Die Denkfabrik setzt sich für eine starke Rolle Europas in der Welt ein.

SRF News: Ist die neue Verfassung in der Türkei kompatibel mit einem EU-Beitritt?

Josef Janning: Mit diesem Entscheid wendet sich die Türkei weiter von Europa ab und entfernt sich von der Beitrittsfähigkeit.

Müssten die Beitrittsverhandlungen mit Ankara nun also gestoppt werden?

Dieser Meinung bin ich nicht. Denn dies ist ja nicht eine klassische Verhandlung, bei der beide Seiten etwas zu geben haben. Sondern es ist ein Prozess, bei dem das Begehren der Türkei, EU-Mitglied zu werden, evaluiert wird. Dieser Prozess sollte intakt bleiben. Solange die Türken sich so verhalten wie jetzt, und sich der EU nicht annähern, wird es zu keinem Beitritt kommen. Aber wenn die Europäer die Türe zumachen, kann auch eine Türkei, die zurückkehren will, nicht mehr zurückkehren.

Was spricht dafür, diese Türe offenzulassen?

Ganz einfach die Tatsache, dass es eine Türkei gegeben hat, die erhebliche Reformanstrengungen unternommen hat, um eine Chance auf eine Mitgliedschaft zu haben. Diese Türkei hat im Land selbst nach wie vor viele Anhänger. Deshalb sollten die Europäer an dieser Vorstellung festhalten. Auch wenn sie wissen, dass auf absehbare Zeit kein Fortschritt in diesem Punkt möglich ist.

Es hat eine Türkei gegeben, die erhebliche Reformanstrengungen unternommen hat, um eine Chance auf eine Mitgliedschaft zu haben.

Wäre die Wiedereinführung der Todesstrafe eine rote Linie für die EU?

Die EU hat in dieser Hinsicht keine roten Linien. Die EU betreibt ja auch keine Erweiterungspolitik, in dem Sinne, dass sie möchte, dass bestimmte Staaten Mitglied er EU werden. Sondern das ist eine Frage der Kandidaten. Mit der geplanten Wiedereinführung der Todesstrafe macht die Türkei einen weiteren Schritt weg von Europa, weg von der Chance auf einen Beitritt irgendwann in der Zukunft.

Soll die EU der Türkei die Möglichkeit eines Beitritts also offenlassen?

Ja. Denn alle europäischen Staaten, die Demokratien sind oder werden wollen, müssen die Möglichkeit haben, EU-Mitglied werden zu können, wenn sie dies wollen und die Auflagen erfüllen. Diese Möglichkeit sollten die Europäer nicht von sich aus ausschliessen.

Die EU muss mit der Türkei wie mit einem Nachbarn umgehen, nicht wie mit einem Beitrittskandidaten.

Werden die Verhandlungen auch aus Angst, der Flüchtlingspakt könnte platzen, weitergeführt?

Das spielt sicher auch eine Rolle. Es herrscht eine konzeptionelle Unsicherheit darüber, was der Sinn dieses Beitrittsverfahrens ist. Man sollte anderen Staaten keine Noten geben, sondern sich auf den eigentlichen Kern konzentrieren: den Prüfprozess über die Erfüllung von Kriterien von möglichen Kandidaten.

Fahnen der EU und der Türkei
Legende: Nach der Abstimmung, die dem Präsidenten mehr Macht gibt, muss sich die EU überlegen: Wie weiter mit der Türkei? Reuters

Wie könnte die EU in dem Sinne Einfluss nehmen auf die Türkei?

Die EU muss mit der Türkei wie mit einem Nachbarn umgehen, nicht wie mit einem Beitrittskandidaten. Ein Nachbar, der unbequem, teils sperrig ist. Der eine Statuspolitik betreibt. Der nicht leicht zu nehmen ist. Aber ein Nachbar, den, wenn dem gerade keine andere Wahrnehmung entgegen steht, definitiv wirtschaftliche Interessen mit Europa verbinden. Und ein Nachbar, der Europa entgegenkommen muss, wenn es darum geht, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes voranzutreiben.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

Meistgelesene Artikel