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EU-Korruptionsskandal Geständnis im Katar-Gate deutet auf grobe Verstösse hin

Hat der korrupte Ex-EU-Politiker Panzeri als Kronzeuge andere Verdächtige zusätzlich belastet? Noch ist viel im Dunkeln.

Der mutmassliche Drahtzieher der EU-Korruptionsaffäre, Pier Antonio Panzeri, will «alles sagen, was er weiss» und mit der belgischen Justiz zusammenarbeiten. Gestern Dienstag hat er eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet. Im Gegenzug dürfte der korrupte Ex-Parlamentarier mit einem statt fünf Jahren Haft davonkommen.

Es ist ein grosser Erfolg der belgischen Anti-Korruptionsbehörde. Denn mit dieser Kronzeugen-Vereinbarung ist klar, dass die Ermittlungen weit fortgeschritten sind und offenbar auch sehr substanzielle Verstösse gegen geltendes Recht vorliegen. Es ist ein Schuldeingeständnis des Hauptverdächtigen. Es ist erst das zweite Mal, dass in Belgien diese Möglichkeit, «Aussage gegen Strafmilderung», in einem Korruptionsverfahren genutzt wird. Vorbild waren die Anti-Mafia-Gesetze in Italien.

Pier Antonio Panzeri
Legende: Der mutmassliche Drahtzieher Pier Antonio Panzeri kann dank seinem Kronzeugen-Deal mit einer stark verkürzten Haftstrafe rechnen. Die geschätzte Million Euro, die er bei seinen Machenschaften ergaunert haben soll, wird eingezogen. Dazu soll er eine Geldstrafe bezahlen. Keystone/EPA/STEPHANIE LECOCQ

In Untersuchungshaft sind neben Panzeri weitere Verdächtige, darunter die ehemalige Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili, die morgen wieder vom Haftrichter angehört wird. Ob Panzeri die anderen Verdächtigen noch weiter belastet, weiss man noch nicht genau. Aber angeblich sagte Panzeri, 120'000 Euro in bar seien an den belgischen EU-Politiker Marc Tarabella geflossen. Das vermelden belgische Zeitungen. Tarabella beteuerte bisher immer seine Unschuld.

Andere Beschuldigte, vor allem auch Mitarbeitende von Panzeri, haben schon zugegeben, Zahlungen des marokkanischen Staates und von Katar erhalten zu haben. Offiziell ist der Kreis der Angeschuldigten bisher noch nicht grösser geworden.

Noch fehlte der Einblick ins ganze System

Wie das System der Einflussnahme funktioniert und wer Geld gegen welche Gegenleistungen erhalten hat, weiss man noch nicht – einmal abgesehen von wohlwollenden Wortmeldungen im EU-Parlament oder in der Öffentlichkeit. Vieles in der Korruptionsaffäre bleibt noch im Dunkeln, bis die Strafbehörden mehr bekannt geben.

Ein zentrales Element der weiteren Untersuchungen wird die vom Sozialdemokraten Panzeri geleitete Nichtregierungsorganisation «Fight Impunity» sein, die gegen die Straffreiheit von hohen Politikerinnen und Politikern kämpfte. In den letzten Wochen wurde immer deutlicher, dass dieser Non-Profit-Verein in Belgien eher ein Vehikel war, Korruptionsgelder zu verschleiern, und weniger eine Wohltätigkeitsorganisation.

Affäre noch längst nicht ausgestanden

Niemanden würde es wundern, wenn der Korruptionsskandal im EU-Parlament noch weitere Kreise ziehen würde. Dies ist in Strassburg zu hören ist, wo zurzeit die Plenartagung stattfindet.

Die Affäre zeigte bereits, dass die Transparenzregeln im EU-Parlament zwar gut sind, aber nur sehr lasch befolgt werden und auch nicht sanktioniert wird. So wurden unzählige nicht selbst bezahlte Reisen in den letzten Wochen nachgemeldet, weil viel Abgeordnete das offenbar vergessen hatten.

Im Moment sieht es eher nicht danach aus, als ob noch weitere Politikerinnen und Politiker von der belgischen Anti-Korruptionsbehörde angeklagt würden. Dennoch beginnt jetzt das grosse Aufräumen im Europäischen Parlament. Regeln müssen überprüft und verbessert werden. Die Folgen dieser Affäre sind noch lange nicht verdaut.

EU-Vizeparlamentspräsidentin Katharina Barley nimmt Stellung:

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Katharina Barley
Legende: Katharina Barley, EU-Vizeparlamentspräsidentin Multimedia Center EU-Parlament

Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katharina Barley, verspricht die kompromisslose Aufklärung der Korruptionsaffäre. EU-Korrespondent Charles Liebherr hat sie befragt.

SRF: Sie kämpften schon als deutsche Justizministerin für schärfere Anti-Korruptionsgesetze. Nun steht ihre Partei SPD am Pranger. Wie tief sitzt der Schock?

Katharina Barley: Das Entsetzen ist enorm. Gerade für unsere Partei ist das extrem schlimm. Das sagen mir auch unsere Wählerinnen und Wähler. Wir standen immer entschieden für mehr Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und gegen Korruption ein. Auch persönlich sind das die Grundsätze meiner politischen Arbeit. Darum trifft uns diese Affäre so stark. Wir sind aber wild entschlossen, alles umzukrempeln. Wir sollen wissen, wie so etwas passieren konnte.

Die parteiinterne Untersuchung ist noch nicht angelaufen...?

Wir sind dran. Wir setzen einen unabhängigen Ermittlungsausschuss ein. Es ist unser fester Wille, die richtigen Lehren aus dem Korruptionsfall zu ziehen. Wir lassen keinen Stein auf dem anderen.

Braucht es schärfere Kontrollen?

Vieles ist verbesserungswürdig. Aber flächendeckende Kontrollen sind nicht möglich und können kriminelle Handlungen letztlich nicht verhindern. Klar, wir müssen mehr Strichproben machen. Wir müssen vor allem aber eine Anti-Korruptionskultur schaffen. Dazu braucht es maximale Transparenz: Alle Abgeordneten sollen offen deklarieren, wen sie treffen. So können alle Bürgerinnen und Bürger nachvollziehen, wie der Gesetzgebungsprozess abläuft.

Sollte die Deklarationspflicht auch Interessenvertreter von Drittstaaten einschliessen?

Ja. Abgeordnete treffen regelmässig diplomatische Vertreter anderer Länder. Wir müssen heute zur Kenntnis nehmen, dass offenbar immer mehr Staaten aktiv Korruption betreiben. Um das zu verhindern, müssen wir unsere Transparenz-Bestimmungen anpassen.

Rendez-vous, 18.01.2023, 12:30 Uhr

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