Der mutmassliche Drahtzieher der EU-Korruptionsaffäre, Pier Antonio Panzeri, will «alles sagen, was er weiss» und mit der belgischen Justiz zusammenarbeiten. Gestern Dienstag hat er eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet. Im Gegenzug dürfte der korrupte Ex-Parlamentarier mit einem statt fünf Jahren Haft davonkommen.
Es ist ein grosser Erfolg der belgischen Anti-Korruptionsbehörde. Denn mit dieser Kronzeugen-Vereinbarung ist klar, dass die Ermittlungen weit fortgeschritten sind und offenbar auch sehr substanzielle Verstösse gegen geltendes Recht vorliegen. Es ist ein Schuldeingeständnis des Hauptverdächtigen. Es ist erst das zweite Mal, dass in Belgien diese Möglichkeit, «Aussage gegen Strafmilderung», in einem Korruptionsverfahren genutzt wird. Vorbild waren die Anti-Mafia-Gesetze in Italien.
In Untersuchungshaft sind neben Panzeri weitere Verdächtige, darunter die ehemalige Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili, die morgen wieder vom Haftrichter angehört wird. Ob Panzeri die anderen Verdächtigen noch weiter belastet, weiss man noch nicht genau. Aber angeblich sagte Panzeri, 120'000 Euro in bar seien an den belgischen EU-Politiker Marc Tarabella geflossen. Das vermelden belgische Zeitungen. Tarabella beteuerte bisher immer seine Unschuld.
Andere Beschuldigte, vor allem auch Mitarbeitende von Panzeri, haben schon zugegeben, Zahlungen des marokkanischen Staates und von Katar erhalten zu haben. Offiziell ist der Kreis der Angeschuldigten bisher noch nicht grösser geworden.
Noch fehlte der Einblick ins ganze System
Wie das System der Einflussnahme funktioniert und wer Geld gegen welche Gegenleistungen erhalten hat, weiss man noch nicht – einmal abgesehen von wohlwollenden Wortmeldungen im EU-Parlament oder in der Öffentlichkeit. Vieles in der Korruptionsaffäre bleibt noch im Dunkeln, bis die Strafbehörden mehr bekannt geben.
Ein zentrales Element der weiteren Untersuchungen wird die vom Sozialdemokraten Panzeri geleitete Nichtregierungsorganisation «Fight Impunity» sein, die gegen die Straffreiheit von hohen Politikerinnen und Politikern kämpfte. In den letzten Wochen wurde immer deutlicher, dass dieser Non-Profit-Verein in Belgien eher ein Vehikel war, Korruptionsgelder zu verschleiern, und weniger eine Wohltätigkeitsorganisation.
Affäre noch längst nicht ausgestanden
Niemanden würde es wundern, wenn der Korruptionsskandal im EU-Parlament noch weitere Kreise ziehen würde. Dies ist in Strassburg zu hören ist, wo zurzeit die Plenartagung stattfindet.
Die Affäre zeigte bereits, dass die Transparenzregeln im EU-Parlament zwar gut sind, aber nur sehr lasch befolgt werden und auch nicht sanktioniert wird. So wurden unzählige nicht selbst bezahlte Reisen in den letzten Wochen nachgemeldet, weil viel Abgeordnete das offenbar vergessen hatten.
Im Moment sieht es eher nicht danach aus, als ob noch weitere Politikerinnen und Politiker von der belgischen Anti-Korruptionsbehörde angeklagt würden. Dennoch beginnt jetzt das grosse Aufräumen im Europäischen Parlament. Regeln müssen überprüft und verbessert werden. Die Folgen dieser Affäre sind noch lange nicht verdaut.