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EU verhängt neue Sanktionen Iran richtet zweiten Demonstranten hin – und löst Empörung aus

  • Im Iran ist ein zweiter Demonstrant im Zuge der systemkritischen Proteste hingerichtet worden.
  • Der wegen «Kriegsführung gegen Gott» angeklagte Mann sei öffentlich gehängt worden, bestätigte der Pressedienst der iranischen Justiz.
  • Die Nachricht der Hinrichtung löste im Iran landesweit Empörung und Wut aus.
  • Wegen der schweren Menschenrechtsverletzungen im Iran verhängt die EU weitere Sanktionen.

Der hingerichtete 23-jährige Madschid-Resa Rahnaward ist am 17. November verhaftet worden. Ihm wurde vorgeworfen, zwei Mitglieder der Basidsch-Miliz getötet und vier weitere verletzt zu haben. Einen rechtlichen Beistand hatte er Online-Berichten zufolge nicht.

Grosse Wut gegen Mitglieder der Basdisch-Miliz

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Die «Basidschis», freiwillige Milizen der iranischen Revolutionsgarden, werden im Iran unter anderem zur Unterdrückung von Protesten eigesetzt. Sie gelten als die treuesten Anhänger des Systems, von denen gesagt wird, sie seien bereit, ihr Leben als Märtyrer zu opfern. Auch bei den jüngsten Protesten gingen die Basidschis laut Augenzeugen gegen die Demonstranten äusserst brutal vor.

Daher richten sich die Wut und Aggressionen der Demonstranten insbesondere gegen die Basidsch-Milizen. Unter den in den vergangenen zehn Wochen im Zusammenhang mit den Demonstrationen ums Leben gekommenen Polizei- und Sicherheitskräften sollen sich vor allem Basidchis befinden. 

Systemgegner reagierten wütend in den sozialen Medien. «Wer Wind sät, wird Sturm ernten» oder «Wir werden das Blut der Unschuldigen rächen», hiess es. Die regierungsnahe Tageszeitung «Resalat» schrieb hingegen: «Begnadigung ist gut, aber im Islam ist Gerechtigkeit wichtiger».

Am vergangenen Donnerstag hatten die Behörden mit Mohsen Schekari erstmals einen Teilnehmer der seit Mitte September anhaltenden Proteste exekutiert. Er soll einen Sicherheitsposten mit einem Messer verletzt und eine Strasse in Teheran blockiert haben.

Die Hinrichtung Schekaris wurde im In- und Ausland scharf verurteilt. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bezeichnete das Verfahren zum Todesurteil als «unfairen Scheinprozess».

Todesstrafe gegen mehr als 20 Menschen

Insgesamt stehen Medienberichten zufolge mindestens 25 Demonstranten auf der Todesliste der iranischen Justiz – zwei von ihnen wurden bereits hingerichtet. Eine weitere Hinrichtung wurde Medienberichten zufolge vorläufig verschoben.

Eine Person hält eine rot bemalte Handfläche in die Luft. Im Hintergrund ist unscharf eine Iran-Flagge.
Legende: Eine Protestaktion in der Türkei: Weltweit erfahren die demonstrierenden Iranerinnen und Iraner Unterstützung. Keystone/EPA/ SEDAT SUNA

Entzündet hatten sich die Proteste am Tod der 22-jährigen Mahsa Amini. Die Kurdin war am 16. September in Polizeigewahrsam gestorben. Die sogenannte Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäss getragen haben soll. Die Proteste weiteten sich rasch zur grössten Herausforderung für die Führung des Landes seit Jahrzehnten aus. Hunderte Menschen sind inzwischen ums Leben gekommen.

Einschätzung der Nahost-Korrespondenten

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Anita Bünter und Jonas Bischoff zu den Ereignissen im Iran: «Die Absicht der Führung in Teheran ist klar: Mit der Vollstreckung der Todesurteile sollen die Demonstrierenden abgeschreckt werden. Ob das gelingt, ist fraglich. Denn die Menschen, die in Iran auf die Strasse gehen, riskieren mit dem Protest bereits ihr Leben. Hunderte wurden in den letzten Monaten getötet, tausende verhaftet.

In den letzten Tagen gab es zudem vermehrt Berichte über den Einsatz von Schrotmunition, die grossflächige Verletzungen verursacht. Laut Berichten setzen die iranischen Sicherheitskräfte diese Munition gezielt ein – gerade auch gegen Frauen, denen sie ins Gesicht, den Brust- oder den Intimbereich schiessen.

Die neuen EU-Sanktionen gegen den Iran dürften keine grossen Auswirkungen haben. Der Iran ist sich Sanktionen seit langem gewohnt und orientiert sich zunehmend Richtung Asien. China ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner Teherans.

Steigen dürfte hingegen der Druck auf europäische Staaten, weitere Massnahmen gegen die iranische Führung zu ergreifen. Menschenrechtsorganisationen fordern von EU-Ländern inzwischen den Abzug von Botschaftern oder gar den kompletten Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit dem Land.»

EU verhängt weitere Sanktionen

Führende westliche Politiker und Bürgerrechtler reagierten wie schon vergangene Woche auch auf die zweite Hinrichtung mit scharfer Kritik. Die Aussenminister der 27 EU-Mitgliedstaaten beschlossen in Brüssel einstimmig neue Strafmassnahmen gegen Verantwortliche in dem Land, wie mehrere Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur bestätigten.

Konkret soll es demnach um etwa 20 Personen und eine Organisation gehen. Zudem wurden auch weitere Sanktionen gegen den Iran wegen der Unterstützung des russischen Kriegs gegen die Ukraine beschlossen.

Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock sagte, im Iran würden Menschen bestraft «allein dafür, dass sie ihre Meinung auf die Strasse tragen, allein dafür, dass sie wie wir in Freiheit leben wollen». Die neuen EU-Strafmassnahmen zielten auf die für die Hinrichtungen Verantwortlichen. Dazu gehörten einerseits Mitglieder der Revolutionsgarden, aber andererseits auch diejenigen, die die Menschen auf den Strassen einschüchterten. «Wir stehen an der Seite der unschuldigen Menschen in Iran», sagte Baerbock.

Der iranische Aussenministeriumssprecher Nasser Kanaani wies die Vorwürfe als Einmischung in staatliche Angelegenheiten der Islamischen Republik zurück. Der Iran macht seinen Erzfeind Israel, den Westen und insbesondere die USA für die Unruhen verantwortlich.

SRF 4 News, 12.12.2022, 09:00 Uhr ; 

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