Im Hafen von Thorshavn, der Hauptstadt der Färöerinseln, liegen neben traditionellen Fischerbooten riesige Trawler – hochseetaugliche Fischfabriken – und Personenfähren vor Anker. Neben der MS «Norröna» mit Platz für 1500 Passagiere, welche die Färöer mit Dänemark im Südosten und Island im Nordwesten verbindet, waren es über Jahrzehnte auch jene Schiffe, welche für die Verbindungen zwischen den 14 bewohnten Inseln des Landes sorgten – solange das Wetter mitmachte, was hier oben im Nordatlantik längst nicht an allen Tagen der Fall ist.
So entwickelten sich über die Jahrhunderte die Gemeinschaften auf den verschiedenen Inseln sehr unterschiedlich. Noch vor wenigen Jahrzehnten war es nicht unüblich, dass die Bewohnerinnen und Bewohner die Beschlüsse des nationalen Parlamentes in der Hauptstadt kurzerhand ignorierten. Von einem einig Vaterland waren die Färöer bis vor Kurzem noch weit entfernt.
Das ändert sich nun: «In den letzten Jahren haben sich die Färöer enorm entwickelt: finanziell, wirtschaftlich und auch gesellschaftlich. Wir können heute auf eigenen Beinen stehen», sagt Johannes Jensen, der neben Engagements in Fischereiunternehmen auch eine Reihe von Hotels und Restaurants auf den Färöern betreibt.
Immer mehr Tunnelportale
Die Färöerinseln umfassen 18 Inseln, von denen 14 bewohnt sind. Der grosse Wohlstand des Landes, der nicht zuletzt der boomenden Fischereibranche zu verdanken ist, zeigt sich an den zahlreichen Neubauten im ganzen Land.
Die Topografie mit hoch aus dem Nordatlantik herausragenden Felseninseln und tiefen Meerengen und Fjorden beschränkte die Verkehrsverbindungen über Jahrhunderte auf den (oft stürmischen) Seeweg. Deshalb war Thorshavn für viele Färingerinnen und Färinger eine Tagesreise übers stürmische Meer oder eine verschneite Passstrasse entfernt. Nun kann ein grosser Teil der 55'000 Einwohnerinnen und Einwohner auf dem Landweg in die Hauptstadt pendeln – und unterquert dabei an vielen Stellen das Meer.
Ingilin Didriksen Ström, die mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf unweit des Nordportals des vor Kurzem eröffneten zehn Kilometer langen Sandøy-Tunnels wohnt, findet dies eine positive Entwicklung: «Mit diesen neuen Tunnels wachsen wir immer mehr zu einem Land und einer Nation zusammen», sagt Ström.
Doch sie fragt sich, ob das viele Geld, das gegenwärtig in die Strasseninfrastruktur gesteckt wird, nicht auch in anderen Bereichen sinnvoll eingesetzt werden könnte – etwa bei der Förderung umweltfreundlicher Energiequellen.
Überlebenskampf im Nordmeer
In Thorshavn, wo die Regierung der seit 1948 weitgehend von Dänemark autonomen Färöer ihren Sitz hat, betont auch Aussenminister Högni Høydal, dass die neuen Tunnelverbindungen einen wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt des kleinen Landes leisten – und damit auch zur angestrebten staatlichen Unabhängigkeit in der nahen Zukunft.
«Die Geschichte der Färöer ist von unserem Überlebenskampf im Nordatlantik und unserer Kooperationsfähigkeit mit dem Ausland geprägt. Als heute gut aufgestellte Nation müssen wir nun alles daran setzen, unsere reichen Naturressourcen nachhaltig zu verwalten», betont Aussenminister Høydal.
Doch bevor die grossen Gewinne aus der Fischwirtschaft in einen Fonds für künftige Generationen einfliessen können – ähnlich dem Ölfonds im benachbarten Norwegen –, gilt es das grösste und teuerste Tunnelprojekt in der Geschichte des Landes erst noch zu realisieren: den 25 Kilometer langen Unterwassertunnel zur Südinsel. Noch in diesem Herbst wird das nationale Parlament in Thorshavn den entsprechenden Baubeschluss fassen.
Uneinigkeit in sozialen Fragen
Wie das Nachbarland Island versuchte sich das Land mit heute knapp 55'000 Einwohnerinnen und Einwohnern am Ende des Zweiten Weltkrieges als selbstständiger Staat von Dänemark loszulösen; im Unterschied zu Island jedoch, wo sich in einer Volksabstimmung 99 Prozent der Stimmbevölkerung für die Unabhängigkeit aussprachen, befürwortete auf den Färöern nur eine hauchdünne Mehrheit diesen Schritt – der in der Folge durch einen dänischen Marineeinsatz rückgängig gemacht wurde.
In den letzten zehn Jahren hat sich die Gesellschaft der Färöer stark verändert: Wir sind selbstbewusster und weltoffener geworden.
Grosse Uneinigkeit prägte die Färöer lange auch in sozialen und wirtschaftlichen Fragen, betont Justizminister Bjarni Karason Petersen: «Im Unterschied zu anderen nordischen Ländern haben wertkonservative und religiöse Kräfte die Innenpolitik der Färöer geprägt. Auch deshalb sind zum Beispiel Abtreibungen bis heute praktisch verboten», sagt Petersen.
Patt im Parlament
Mit erst 29 Jahren gehört der Vorsitzende der liberalen Partei zur jungen Generation von Färingern, die im Ausland studiert haben und nun die Färöer modernisieren wollen. In einer historischen Abstimmung über ein neues, liberaleres Abtreibungsgesetz kam es kurz vor der Sommerpause zu einem Patt im nationalen Parlament.
Petersens Versuch, das noch aus dem Jahre 1956 stammende Abtreibungsverbot zu lockern, scheiterte. Doch beim nächsten Mal wird es klappen, ist der liberale Jungminister überzeugt. «In den letzten zehn Jahren hat sich die Gesellschaft der Färöer stark verändert. Wir sind selbstbewusster und weltoffener geworden», betont Bjarni Karason Petersen.
Nachdem zur Jahrtausendwende wegen einer Bankenkrise viele Färingerinnen und Färinger aus wirtschaftlichen Gründen den Archipel verlassen mussten, gehört die Inselgruppe heute zu den reichsten Ländern der Welt.
Musikerin Eivør kehrt zurück
Viele sind deshalb auf den Nordatlantik-Archipel zurückgekehrt: so auch die weltbekannte Musikerin Eivør Pálsdottir. «Vor zwei Jahren zog ich nach langer Zeit im Ausland auf die Färöer zurück und lebe jetzt mit meiner Familie hier in diesem kleinen Dorf», sagt die 41 Jahre alte Kulturschaffende beim Gespräch in ihrem Haus im Dorf Velbastadur auf der Insel Streymöy.
Sie ist überzeugt, dass ihr Land sich in der nahen Zukunft weiter modernisieren wird – und die konservativen und religiösen Kräfte an Macht einbüssen werden: «In unserem Parlament gibt es heute immer mehr fortschrittliche Kräfte. Das stimmt mich sehr zuversichtlich für diesen fantastischen Flecken Erde», sagt Eivør, deren Musik oft mit jener der isländischen Kollegin Björk verglichen wird. Mit ihrer alten, traditions- und naturverbundenen Musik wirkt Eivør Pálsdottir heute als wichtige Kulturbotschafterin des kleinen und abgelegenen Landes im Nordatlantik. Ein Land, das dank der neuen Infrastruktur, dem gestärkten inneren Zusammenhalt und einer neuen aktiven Generation bereit ist für eine aktive Rolle in der Weltgemeinschaft.