SRF News: Was wissen Sie über den Hintergrund des Konflikts, des Brandes?
Rudolf Balmer: Laut Auskunft der Polizei ist es zu einem Streit gekommen. Offenbar sind afghanische und kurdische Flüchtlinge mit Messern aufeinander losgegangen. Die Polizei konnte eine Eskalation nicht verhindern, es gab sechs Verletzte. Die Flüchtlinge mussten dann in der Nacht evakuiert werden, sie sind jetzt in zwei Turnhallen untergebracht.
Grande-Synthe ist ein ofizielles Lager, das von den Behörden in Zusammenarbeit mit Médecins Sans Frontières eingerichtet wurde. Wie konnte die Lage dort so eskalieren?
Grande Synthe war der Versuch, ein Lager zu schaffen, das den internationalen Standards entspricht. In der Gegend existierten zuvor wilde Camps, ähnlich wie bei Calais. Das neue Lager konnte dann aber nicht so viele Leute aufnehmen, wie tatsächlich ankamen. Geplant waren 700 – zeitweise befanden sich aber bis zu 2000 Personen im Lager. Das erklärt die Spannungen.
Wer hat das Lager betreut?
Hilfswerke, die mit den Gemeindebehörden zusammengearbeitet haben. Am Anfang war es Médecins Sans Frontières, am Ende dann eine lokale Vereinigung. Sie waren mit den Entwicklungen im Lager überfordert. Die hygienischen Bedingungen haben sich sehr rasch verschlechtert und es gab immer wieder Spannungen zwischen den Migranten und kriminellen Schlepperorganisationen, die im Lager aktiv waren.
Hat die Eskalation Konsequenzen?
Viele Flüchtlinge sind erst kürzlich aus Calais gekommen, als das dortige Lager geschlossen wurde. Das hat die Probleme in Grande-Synthe massiv verschärft. Bürgermeister Damien Carême hat zum Wunsch der Pariser Regierung, das Lager zu schliessen, gesagt, das gehe so nicht. Auch wenn die Bedingungen im Lager sehr schlecht seien, sei es immer noch besser als nichts. Eine Alternative gebe es nicht.
Zuerst Calais, jetzt Grande-Synthe – man hat den Eindruck Frankreich sei mit den Flüchtlingen überfordert. Stimmt dieser Eindruck?
Dieser Eindruck stimmt eindeutig. Man hat eine Prozedur für das Asylverfahren, die viel zu lange dauert. Auch ist Frankreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern – sogar im Vergleich zur Schweiz – nicht so generös, wie man das vielleicht erwarten könnte. Im letzten Jahr gab es 85‘000 Asylgesuche, davon wurden 26‘000 bewilligt. Die Folge davon ist, dass die Abgewiesenen meisten trotzdem in Frankreich bleiben. Nur für ihre Unterbringung ist dann überhaupt nichts vorgesehen. Sie werden zu Sans-Papiers. Das verschlimmert ihre Situation und auch die Wiederstände gegen die Flüchtlingspolitik generell.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.