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Finanzplan für Grossbritannien Solide ausbalanciert, jedoch nicht ganz ehrlich

Jeremy Hunt ist kein Träumer. Und er neigt nicht zum Geschenke verteilen, wie sein Kurzzeit-Vorgänger Kwasi Kwarteng. Der neue britische Finanzminister hat heute keine Steuergeschenke versprochen, wie es Kwarteng am 23. September mit seinem «Mini-Budget» getan hatte.

Im Gegenteil: Jeremy Hunt will jene stärker zur Kasse bitten, die viel verdienen. Der Spitzensteuersatz von 45 Prozent kommt künftig schon ab einem Jahreseinkommen von 125'000 Pfund zur Anwendung. Der ultraliberale Kwasi Kwarteng hatte den Spitzensteuersatz abschaffen wollen – in der Hoffnung, so die Grossverdienerinnen und -verdiener zum Investieren anzuregen. Das war nur eine von mehreren Fehlannahmen, die die Finanzmärkte in Aufruhr versetzten.

Zahlenmensch Hunt

Der Finanzplan von Hunt ist solide ausbalanciert – zwischen Steuererhöhungen und neuen Sparmassnahmen. So soll der 55 Milliarden Pfund grosse Fehlbetrag im britischen Finanzhaushalt geschlossen werden. Damit stellt er die Finanzmärkte zufrieden. Überraschend und unkonventionell für einen konservativen Finanzminister ist nicht nur der Umfang der Steuererhöhungen insgesamt, sondern auch wie stark er nun plötzlich die Übergewinne der Energiefirmen abschöpfen will. Solche Sondersteuern fordert die oppositionelle Labour-Partei seit dem Frühjahr, was die Regierungen von Boris Johnson und Liz Truss regelmässig kategorisch abgelehnt hatten.

Jeremy Hunt ist ein Zahlenmensch. Das wurde während seiner Präsentation des Finanzplanes im britischen Unterhaus deutlich. Er jonglierte eine knappe Stunde lang mit Zahlen und Fakten, dass es einem schwindlig wurde. Er versprach, den Mindestlohn anzuheben, Sozialhilfe und Renten an die Teuerung anzupassen – die Ausgaben für Bildung, Forschung, fürs Gesundheitswesen und die Landesverteidigung ebenso.

Er versprach zudem, die von konservativen Vorgängerregierungen versprochenen Investitionen von rund 600 Milliarden Pfund für Strassen, Schnellbahnen, Universitäten und Spitäler nicht anzutasten. Das wird die sozialliberale Wählerschaft in Mittel- und Nordengland beruhigen, die sich einen kräftigen Investitionsschub für ihre strukturschwachen Regionen erhoffen.

Höchstens die halbe Wahrheit

In zwei Punkten ist Jeremy Hunt aber nicht ganz ehrlich: Er sagt nicht im Detail, wo er die angekündigten 30 Milliarden Pfund einsparen will. Er hat zwar kurz nach seinem Amtsantritt vor einem Monat alle Ministerien dazu aufgefordert, bewilligtes, aber bisher nicht ausgegebenes Geld zurückzuhalten und nach weiteren Sparmöglichkeiten Ausschau zu halten. So werden die 30 Milliarden nicht aufzutreiben sein.

Auch bei den Ursachen für die gegenwärtige Wachstumskrise der britischen Wirtschaft sind Finanzminister Hunt und Premierminister Sunak nicht ganz ehrlich: Russland sei schuld; der Krieg in der Ukraine treibe die Energiepreise in die Höhe und befeuere die Teuerung. Schuld sei Corona, deren Folgen die britische Wirtschaft bis heute bremsten.

Das ist höchstens die halbe Wahrheit, wie namhafte Ökonomen sowie die Bank of England übereinstimmend sagen. Brexit sei die Hauptursache für das schwache Wachstum: Seit der Brexit-Abstimmung 2016 seien die Investitionen im Vereinigten Königreich merklich zurückgegangen. Die Produktivität der britischen Firmen bleibe deshalb hinter jener anderer G7-Länder zurück – und damit auch ihr Wachstum, ihre Gewinne und ihre Steuerabgaben. Der Brexit-Effekt ist immer stärker spürbar – auch bei den Staatsfinanzen. Darüber zu reden, ist für Jeremy Hunt und Rishi Sunak allerdings tabu. 

Michael Gerber

Grossbritannien-Korrespondent

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Michael Gerber ist seit Frühjahr 2022 TV-Korrespondent für Grossbritannien und Irland. Zuvor war er Koordinator der SRF-Fachredaktion Ausland und Sonderkorrespondent. Von 2011 bis 2017 berichtete er als Korrespondent aus Frankreich. Zuvor war er Korrespondent in der Westschweiz und Redaktor und Reporter von «10vor10».

SRF 4 News, 17.11.2022, 14:00 Uhr

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