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Flüchtlinge aus Libyen «Ohne Hilfsorganisationen gäbe es mehr Tote auf hoher See»

Die Ausweitung der libyschen Sicherheitszone schreckt auch Helfer ab. Fatal, sagt Italien-Mitarbeiter Rolf Pellegrini.

SRF News: Die Hilfsorganisationen kritisieren nicht nur Libyen, sondern auch Italien.

Rolf Pellegrini: Es geht um das Marine-Kooperationsabkommen, das Italien mit der libyschen Regierung in Tripoli abgeschlossen hat. Das missfällt. Private Hilfsorganisationen bezeichnen das Abkommen als «zynisch, unmenschlich und illegal». Denn immer mehr Migranten riskierten, wieder in die Kerkerlager nach Libyen zurücktransportiert zu werden.

Was bedeutet es, wenn Libyen seine Sicherheitszone auf rund 180 Kilometer erweitert?

Das bedeutet, dass Flüchtlingsboote in internationalen Gewässern praktisch auf hoher See gezwungen werden können, nach Libyen zurückzukehren. Damit wird der Aktionsradius der Hilfsorganisationen stark eingeschränkt, was für einige inakzeptabel ist. Es würde auch mehr Tote auf hoher See geben, weil die Hilfsorganisationen nicht mehr frei arbeiten könnten.

Es würde auch mehr Tote auf hoher See geben, weil die Hilfsorganisationen nicht mehr frei arbeiten könnten.
Autor: Rolf Pellegrini

Welche Ziele verfolgt Italien mit der Zusammenarbeit mit Libyen?

Rolf Pellegrini

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Rolf Pellegrini war während Jahrzehnten für SRF, früher Schweizer Radio DRS, tätig. Unter anderem leitete er die «Echo»-Redaktion, war Frankreich- und zuletzt während mehr als einem Jahrzehnt Italienkorrespondent. Aktuell unterstützt er die SRF-Berichterstattung aus Italien.

Die Absicht Italiens ist eindeutig, den Flüchtlingsstrom mit Hilfe der libyschen Küstenwache einzudämmen. Und zwar ungeachtet des Rufes dieser Küstenwache. Italien will zugleich den Schleppern die Arbeit erschweren. Rom sagt jetzt: Hilfe an Flüchtlinge ja, aber das Land könne nicht alle aufnehmen.

Es ist eine brüske Wende in der italienischen Politik. Mit der italienischen Bischofskonferenz steht seit Kurzen auch die Kirche hinter dieser Politik. Italien ist nicht mehr weit offen für die Migranten. Die Wende trägt auch dem zunehmenden Widerstand der Bevölkerung gegen die Migrantenankünfte Rechnung. Immer weitere Schichten halten die bisherige Politik für inakzeptabel.

Welchen politischen Spielraum hat Italien

Die Regierung in Tripoli braucht Italien der Finanzen wegen. Die italienische Erdölgesellschaft ENI als grösstes internationales Unternehmen im Land bezahle einen Teil der Löhne der Verwaltung in Tripoli, wird gemunkelt. Tripoli will natürlich viel Geld bekommen für seine Hilfe an Italien. Denn auch die zahlreichen Clans im Land brauchen Geld, wenn bei abflauendem Geschäft die Schmiergelder von Schlepperorganisationen ausbleiben. Das gibt Italien Druckmittel in die Hand.

Welchen Spielraum hat Italien bei der Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen?

Gegenüber den Hilfsorganisationen hat Rom ebenfalls einen Hebel. Die italienische Justiz ermittelt zurzeit gegen einige Nichtregierungsorganisationen wegen angeblich heimlicher direkter Kontakte zu Schleppermafien, also zu Sklavenhändlern.

Die Lage vor der libyschen Küste spitzt sich zu

Die EU billigt offenbar die italienische Flüchtlingspolitik. Kann Rom also weitermachen?

Die EU hat Rom in der Tat grünes Licht gegeben für den neuen Kurs. Aber alle wissen, dass das nicht reicht. Die EU wird nicht darum herumkommen, in der Migrationsfrage eine viel stärker koordinierende Rolle zu spielen. Das wird Milliarden kosten. Milliarden, die nicht nur nach Italien gehen müssen, wo die Hilfsgelder bisher unzureichend sind. Die Gelder müssen auch in grosse Strukturhilfsprogramme in Afrika fliessen, damit die Menschen weniger Gründe haben, sich nach Europa abzusetzen.

Das Gespräch führte Tina Herren.

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