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Flüchtlinge in Griechenland Athen wird allein gelassen

Asylbewerber dürfen wieder nach Griechenland zurückgeschafft werden. Die Situation habe sich seit 2011 deutlich verbessert, heisst es aus Brüssel. Doch dies stimme nur sehr bedingt, sagt der Migrationsforscher Marcus Engler.

Das Wichtigste in Kürze

  • Flüchtlinge dürfen im Rahmen der sogenannten Dublin-II-Verordnung wieder aus anderen europäischen Ländern nach Griechenland zurückgeschickt werden.
  • 2011 hatten europäische Gerichte das Dublin-Abkommen für Griechenland wegen der prekären Umstände im Land und wegen Mängeln im griechischen Asylsystem ausgesetzt.
  • Die Situation habe sich seither deutlich verbessert, heisst es aus Brüssel. Doch dies stimme nur sehr bedingt, sagt der Migrationsforscher Marcus Engler.

SRF News: Viele Beobachter sagen, Griechenland sei mit dem Flüchtlingsproblem immer noch überfordert. Glauben Sie das auch?

Marcus Engler: Der Prozess zur Verbesserung des griechischen Asylsystems läuft seit zwei Jahren. Es gibt einige Fortschritte, vor allem bei der Weiterbildung des Personals. Allerdings ist man ist noch weit davon entfernt, dass man von einem gut funktionierenden griechischen Asylsystem sprechen könnte.

Europäische Entscheidungsträger wären vielleicht sogar bereit, grosse Flüchtlingsbewegungen nötigenfalls mit polizeilicher Gewalt aufzuhalten.

Marcus Engler

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Der Migrationsforscher Marcus Engler arbeitet für das deutsche Netzwerk Flüchtlingsforschung . Er doziert u.a. an der Berliner Humboldt-Universität und hat diverse Schriften zum Thema publiziert

Die EU hat letztes Jahr eine Reform des Dublin-Systems präsentiert, um Griechenland und Italien zu entlasten. Wo stehen wir da?

Die Reform ist bisher nur ein Vorschlag, das formale Gesetzgebungsverfahren dazu beginnt erst noch. Doch bereits ist klar, dass eine wirkliche Veränderung der Problemlage nicht zu erwarten ist. Die Frage nach einer fairen Verteilung von Schutzsuchenden wird kaum gelöst werden. Es gab den Vorschlag eines fixen Verteilschlüssels der Asylbewerber auf alle EU-Staaten, doch darauf sind die Staaten nicht eingetreten. Jetzt soll in normalen Zeiten alles beim Alten bleiben. Nur in Notsituationen, wenn innert kurzer Zeit sehr viele Flüchtlinge nach Europa kommen sollten, würde eine Art Überlauf-Mechanismus in Kraft treten. Staaten, die dann keine Schutzsuchenden aufnehmen würden, müssten Strafzahlungen leisten, so der aktuelle Vorschlag, über den das EU-Parlament bald debattieren soll.

Reportage aus Lesbos

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«Hier ist das Leben wie in Guantanamo», sagt ein Flüchtling im Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Hören Sie hier die Reportage von Rodothea Seralidou.

Was müsste getan werden, um Griechenland und Italien tatsächlich zu entlasten?

Dazu braucht es viele verschiedene Massnahmen. So müssten die Flüchtlinge etwa in den Krisenregionen viel besser versorgt werden. Von dort sollten die Menschen über Resettlement-Programme oder über andere Kanäle legal und sicher nach Europa und auch in andere Staaten der Welt gebracht werden. Das Flüchtlingsproblem ist eine Aufgabe für die ganze Welt, nicht nur für Europa.

Es gibt heute kaum noch Staaten, die bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Das betrifft nicht nur Europa, sondern auch die USA.

Was ist, wenn die Zahl der Zuwanderer in den nächsten Monaten wieder drastisch ansteigen sollte – etwa, weil die Türkei den Flüchtlingsdeal mit Europa aufkündigen könnte?

Man mag sich gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn sich die Situation von 2015 wiederholen sollte, als Hunderttausende Menschen in der Ägäis übers Meer gekommen sind. Damals lief das relativ gut, weil Staaten wie Deutschland oder Schweden die Menschen aufgenommen haben. Doch mit den Erfahrungen aus den Ereignissen von 2015 und den politischen Verwerfungen, die sich seither ergeben haben, scheinen die europäischen Entscheidungsträger entschlossen, so etwas nicht noch einmal passieren zu lassen. Sie wären vielleicht sogar bereit, solche Flüchtlingsbewegungen nötigenfalls mit polizeilicher oder militärischer Gewalt aufzuhalten.

Das Dublin-Abkommen ist nun wieder in Kraft, Flüchtlinge aus anderen europäischen Ländern dürfen wieder nach Griechenland zurückgeschafft werden. Hat sich an den Problemen seit seiner Aussetzung 2011 etwas geändert?

Leider nicht. Nach wie vor haben wir auf der Welt so viele Flüchtlinge wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Gleichzeitig gibt es kaum noch Staaten, die bereit sind, sie aufzunehmen. Das betrifft nicht nur Europa, sondern unter Präsident Trump auch die USA. Das ist ein grosses Problem.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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