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Folgen des US-Rückzugs «Wir könnten in eine kriegerische Vergangenheit zurückfallen»

Das neuste Buch von Robert Kagan heisst «The Jungle grows back» (Der Dschungel kehrt zurück). Darin schreibt der US-Politberater über das schrumpfende Interesse der USA an ihrer Rolle als Weltpolizist oder über die liberale Weltordnung, die er in Gefahr sieht. Auch spricht er von «dunklen Kräften», die immer stärker werden. Im Interview erklärt er, was er damit meint.

Robert Kagan

Neokonservativer US-Politberater

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Robert Kagan gehört zu den bekanntesten Neokonservativen Politberatern in den USA. Er war aussenpolitischer Berater für Präsident George W. Bush und arbeitete u.a. für die republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain und Mitt Romney. Im Februar 2016 kritisierte er Donald Trump und dessen «Faschismus» in einem Artikel scharf und bezeichnete sich fortan als «Ex-Republikaner». Heute ist Kagan leitendes Mitglied an der parteiunabhängigen US-Denkfabrik Brookings.

SRF News: Was meinen Sie mit «dunklen Kräften» und dem «Dschungel», der zurückkehre?

Robert Kagan: Mit «dunklen Kräften» meine ich natürliche Kräfte, die im globalen System und in der Geschichte der Menschheit immer existiert haben. Der «Dschungel» ist die Rückkehr zur geopolitischen Konkurrenz, das Erstarken von demokratiefeindlichen Kräften.

Wir glauben, dass die Stabilität normal ist – aber das ist sie nicht.

Seit dem Ende des 2. Weltkrieges haben wir eine bemerkenswerte, historisch aussergewöhnliche Stabilität geschaffen. Wir glauben zwar, dass sie normal ist – aber das ist sie nicht. Es wird immer Kräfte geben, die gegen Demokratie kämpfen. Kräfte, die ein Interesse an Chaos und Konflikten haben. Die Frage ist: Wehren wir uns und setzen wir uns für unsere Werte ein?

Symbolbild: Huthi-Rebellen in Jemen sitzen auf einem Pickup und präsentieren ihre Waffen.
Legende: Stabilität sei kein Naturzustand – im Extremfall drohe auch dem Westen wieder Krieg, sagt Kagan. Reuters

Finden Sie, dass wir zu stark nachgegeben haben? Räumen wir dem «Dschungel» zu viel Platz ein?

Ja. Ein wichtiges Element sind dabei die USA, die sich immer stärker von ihrer Rolle verabschieden, welche sie in den letzten Jahrzehnten innehatten. Zwar empfanden viele Europäer diese Rolle als dominant. Doch auch wenn die USA Fehler gemacht haben: Sie waren immerhin in jeder Ecke dieser Welt involviert, speziell in Europa. Doch seit dem Fall des Eisernen Vorhangs fragen sich immer mehr Amerikaner, warum die USA diese Rolle übernehmen müssen.

Trump führt den unter Obama begonnenen Rückzug bloss weiter – weiter aber, als das Obama je getan hätte.

Amerika begann denn auch, sich schrittweise aus dieser Verantwortung zurückzuziehen. Dabei haben unter anderem der Irakkrieg und die Wirtschaftskrise eine Rolle mitgespielt. Man sah den Sinn nicht mehr, so viele Opfer in fremden Gebieten zu bringen, wenn daheim so viel schief läuft. Das hat schon mit Präsident Barack Obama begonnen – Trump führt dies nur weiter; weiter, als sein Vorgänger je getan hätte.

Sind viele Amerikaner einfach müde, immer Weltpolizei spielen zu müssen?

Tatsächlich kostet diese Rolle viel. Sie ist eine Bürde. Kein anderes Land in der Geschichte hat für internationale Sicherheit je soviel auf seine Schultern geladen wie die USA. Das geschah nicht selbstlos: Die Amerikaner waren damals überzeugt von den eigenen Vorteilen – und jetzt sind sie es nicht mehr.

Die USA gehen jetzt bloss wieder in den Normalzustand zurück – so, wie er während vieler Jahrhunderte bestanden hat.

Wenn Sie sich jedoch die amerikanische Geschichte anschauen, war dieses globale Eingreifen nicht die Norm – weder im 18., noch im 19., noch im frühen 20. Jahrhundert. Vielleicht war es also eine sehr einzigartige Periode, in der die USA diese Verantwortung übernehmen wollten. Jetzt aber gehen die USA wieder in den Normalzustand zurück, der während vieler Jahrhunderte bestanden hat.

Soldat macht ein Selfie, im Hintergrund zwei gepanzerte Fahrzeuge.
Legende: Viele Amerikaner sehen keinen Sinn mehr im Ausland-Engagement: US-Soldat in Irak. Reuters

Derzeit sitzt ein Präsident im Weissen Haus, der die Rolle des Weltpolizisten nicht mehr spielen will. Kann diese Haltung mit einem anderen Präsidenten in Zukunft wieder ändern?

Es ist nicht so wichtig, wer im Weissen Haus sitzt. Zwar bringt Trump viele ungewohnte Neuerungen ins Weisse Haus: Demokratische Regeln und Institutionen sind ihm unwichtig. Er ist eine Art Megalomane – ein Egoist, wie wir ihn nie gesehen haben. Und er teilt das Land, statt es zu einen. Doch punkto Aussenpolitik hat er eigentlich nichts Neues gebracht. Sogar der Internationalist Obama sorgte sich weniger um die internationalen, traditionellen Alliierten als seine Vorgänger. Trump sagt es einfach auf krudere Weise. Trumps Isolationismus verärgert eigentlich nur das aussenpolitische Establishment in den USA. Der Durchschnittsamerikaner stört sich da nicht so sehr daran.

Viele Menschen glauben, sie wüssten, wie wie schlimm es werden kann. Doch sie haben keine Ahnung.

Was muss getan werden, damit sich die USA und die westlichen Alliierten wieder näher kommen?

Wir brauchen politische Führung. Derzeit geht die Entwicklung in die falsche Richtung. Doch uns allen muss bewusst werden, was auf dem Spiel steht.

In vielen westlichen Ländern, in denen die Demokratie gerade Schaden nimmt, erinnern sich die Menschen zu wenig daran, warum Europa sich vereinen wollte. Dass man damals, nach zwei Weltkriegen, einen dritten für immer vermeiden wollte. Die Europäer scheinen das zu vergessen – und die Amerikaner vergessen das ganz sicher. Mit der Zeit vergessen die Menschen, wie schlimm die Dinge werden können. Und das passiert jetzt. Viele glauben, sie wüssten, wie schlimm es werden kann. Doch sie haben keine Ahnung. Wir könnten in die kriegische Vergangenheit zurückfallen. Um dies zu verhindern, haben wir die Strukturen der liberalen Weltordnung aufgebaut. Andere Lösungen habe ich auch nicht.

Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.

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