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FPÖ-Angriffe auf ORF «Es geht um die Pressefreiheit in Österreich»

Seitdem die FPÖ in Österreich an der Regierung beteiligt ist, hat sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF stärker denn je im Visier. Die Populisten setzen die ORF-Korrespondenten unter Druck und drohen mit massiven Einsparungen, falls sich sie sich nicht «korrekt» verhalten.

Das Vorgehen der FPÖ stösst auf Kritik: Jetzt brauche es ein Bekenntnis von Bundeskanzler Sebastian Kurz zum ORF, sagt etwa Hans-Peter Siebenhaar. Der Deutsche ist Präsident des Auslandjournalisten-Verbands in Wien. Er sieht die Pressefreiheit in Österreich gefährdet.

Hans-Peter Siebenhaar

Deutscher Journalist

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Der Journalist Hans-Peter Siebenhaar arbeitet in Wien für das deutsche «Handelsblatt» als Korrespondent für Österreich und Osteuropa. Dort ist er Vorsteher des Verbandes der ausländischen Korrespondenten.

SRF News: Sie haben die jüngsten Angriffe der FPÖ auf den ORF eine «neue Dimension» genannt. Wie meinen Sie das?

Hans-Peter Siebenhaar: Die FPÖ versucht, direkt in die Personalstruktur und das Programm des ORF einzugreifen. Bei Nichtgefallen der Berichterstattung möchte sie über die Korrespondentenplätze verfügen und damit über das Programm. Denn sollten ORF-Korrespondentenstellen gestrichen werden, würde die Qualität der Berichterstattung sicher darunter leiden.

In Österreich gibt es die Tradition, dass die Regierungsparteien den ORF quasi als ihr Eigentum betrachten.

Hat in Österreich nicht schon immer jene Partei über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bestimmt, die an der Regierung war?

So unverschämt wie jetzt von der FPÖ war der Zugriff auf den ORF in Österreich noch nie. Es ist ganz klar eine neue Qualität, welche die rechtspopulistische Partei einführt. In der Tat gibt es in Österreich aber die Tradition, dass die Regierungsparteien den ORF quasi als ihr Eigentum betrachten. Wir sagen dazu: Sie färben den Sender um. Die Schlüsselpositionen im ORF werden jeweils gemäss den Farben der Regierungsparteien besetzt. Das ist leider Gottes seit Jahrzehnten so.

Eingang des Funkhauses mit einer grossen, farbigen-Ohr-Skulptur.
Legende: Der ORF als Spielball der österreichischen Politik: das ORF-Funkhaus in Wien. Imago

Schon im Februar hatte ein Tweet von FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache für Schlagzeilen gesorgt. Wieso hat sich die Partei gerade jetzt so hartnäckig auf den ORF eingeschossen?

Sie erfüllt damit bloss die schlimmsten Befürchtungen, die man schon im Wahlkampf hatte. Die FPÖ betrachtet den ORF als ihren grossen medialen Feind. Über soziale Netzwerke hat die Partei in den letzten Jahren eine mediale Gegenwelt für ihre Anhänger aufgebaut. Jetzt, als Regierungspartei, nimmt sie den ORF ins Visier.

Der neuste Pfeil gegen den ORF wurde bewusst abgeschossen, um dessen politische Machtübernahme einzuleiten.

Der neuste Angriff von FPÖ-Stiftungsrat Norbert Steger auf den ORF ist weitaus zielgerichteter als jener Straches im Februar – und als Auftakt für weitere Angriffe auf den ORF zu sehen. Steger ist im Medienbereich die stärkste Figur innerhalb der FPÖ, seit vielen Jahren sitzt er im Aufsichtsgremium des ORF. Der Pfeil wurde also sehr bewusst abgeschossen, um die politische Machtübernahme des ORF einzuleiten.

Kurz und Strache.
Legende: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). Reuters

Der Generaldirektor hat kämpferisch reagiert und den Vertrag des kritisierten Korrespondenten in Ungarn umgehend bis 2021 verlängert. Wie ist das angekommen?

Sehr gut. In der Vergangenheit war dem ORF-Chef immer wieder vorgeworfen worden, er reagiere zu halbherzig auf die Angriffe – jetzt hat er schnell und klar gehandelt. Auch ausserhalb des ORF kommt das gut an, denn in Österreich wünscht sich eigentlich niemand Verhältnisse wie in Ungarn. Zudem sind sich wohl auch die Journalisten der privaten Medien in Österreich einig, dass man die Angriffe auf die Unabhängigkeit des ORF und auf die Pressefreiheit generell nicht durchgehen lassen darf.

Wie stark ist die Kritik in der Bevölkerung an dieser versuchten politischen Einflussnahme auf den ORF durch die FPÖ?

Viele Österreicher haben sich wohl längst daran gewöhnt, dass die Parteien ein sogenanntes Durchgriffsrecht auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben. Es ist bei dem Thema in der Gesellschaft eine Art Apathie festzustellen. Viele nehmen das Ganze gar nicht mehr als Skandal wahr – was für eine Demokratie im Grunde genommen sehr traurig ist.

Ein Machtwort von Kanzler Sebastian Kurz ist dringend fällig, denn es geht um die Pressefreiheit.

Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz hat nicht auf den Angriff der FPÖ reagiert. Wieso nicht?

Kurz und seine konservative ÖVP wollen keine Zerreissprobe ihrer Regierungskoalition. Der Kanzler versucht deshalb, sich wegzuducken und das Problem auszusitzen. Ich denke aber, es wäre ein Machtwort seinerseits fällig, denn es geht um die Pressefreiheit. Diese ist in einer Demokratie ein hohes Gut. Wenn solche Angriffe unterhalb der Gürtellinie auf den ORF erfolgen, dann muss sich der Regierungschef positionieren.

Wo können die Angriffe der FPÖ auf den ORF noch hinführen?

Man muss sich grundsätzlich fragen, wohin sich Österreich mittel- und langfristig entwickelt. Das Land begreift sich oft als Bindeglied zwischen West- und Osteuropa. Im medialen Bereich scheint es derzeit eher in Richtung Osteuropa zu tendieren. Die Verantwortlichen müssen sich deshalb im Klaren darüber sein, was das bedeutet und welche Richtung sie einschlagen wollen.

Das Gespräch führte Christoph Kellenberger

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