Worum geht es? In Tunesien hat ein Gericht über die Ostertage Oppositionspolitiker, Geschäftsleute und Anwälte wegen Verschwörung zu langjähriger Haft verurteilt. Die Gefängnisstrafen reichen von 13 bis zu 66 Jahren. 40 Personen, darunter hochrangige Politiker, Geschäftsleute und Journalisten, waren angeklagt worden. Mehr als 20 von ihnen sind ins Ausland geflohen. Einige der Angeklagten der Opposition befinden sich seit ihrer Festnahme im Jahr 2023 in Untersuchungshaft.
Weder Zeugen noch Angeklagte wurden während des Prozesses vernommen, auch die Anklageschrift wurde nicht vorgelesen.
Was sind die Vorwürfe? Den Behörden zufolge versuchten die Angeklagten, darunter der frühere Geheimdienstchef Kamel Guizani, das Land zu destabilisieren und Präsident Kais Saied zu stürzen. Zu den Angeklagten zählen einige der bekanntesten Oppositionspolitiker des Landes, wie zum Beispiel Nejib Chebbi, der Anführer der wichtigsten Oppositionskoalition «Front zur Nationalen Rettung». «Die Behörden wollen die Opposition kriminalisieren», sagte Chebbi.
Nur eine Farce? Die Opposition bezeichnet die Vorwürfe gegen die Angeklagten als erfunden und den Prozess als Symbol der autoritären Herrschaft von Präsident Kais Saied. Die meisten Vorsitzenden der oppositionellen Parteien sitzen im Gefängnis, darunter Abir Moussi, die Chefin der Freien Verfassungspartei, sowie Rached Ghannouchi, Vorsitzender der Ennahda-Partei – sie sind zwei von Saieds prominentesten politischen Gegnerinnen und Gegnern.
Ist Saied ein Diktator? Menschenrechtsgruppen zufolge hat Saied die volle Kontrolle über die Justiz, seit er 2021 das Parlament aufgelöst hat und per Dekret regiert. Den unabhängigen obersten Justizrat löste er 2022 auf. Saied weist den Vorwurf zurück, er sei ein Diktator; vielmehr kämpfe er gegen das Chaos und die Korruption, die in der politischen Elite grassierten, argumentiert der Präsident.
Kritiker sagen, die Justiz agiere bloss noch auf Anweisungen hin.
Gibt es ein faires Verfahren? Bei den Prozessen gab es nun bloss drei Verhandlungstage, während denen vor allem Formalien behandelt wurden, wie die Journalistin Sarah Mersch sagt, die den Prozess an zwei Verhandlungstagen beobachtet hat. Um die konkreten Vorwürfe sei es kaum gegangen. «Weder Zeugen noch Angeklagte wurden während des Prozesses vernommen, auch die Anklageschrift wurde nicht vorgelesen.»
Ist die Justiz unabhängig? Viele Juristen in Tunesien sprächen von grossem Druck, der von der Regierung auf Richter ausgeübt werde. «Kritiker sagen, die Justiz agiere bloss noch auf Anweisungen hin», sagt Mersch, die in Tunesien lebt. Auch die Medien hätten kaum über die Verfahren berichtet. «Über die Hintergründe oder den Kontext des Verfahrens gab es keine Medienberichte in Tunesien.»
Wie steht es um die Opposition? Die parteipolitische Opposition existiere in Tunesien inzwischen praktisch nicht mehr, sagt Mersch. Die wichtigen Parteileute sässen alle im Gefängnis. Ausserdem würden seit einer Wahlrechtsreform in Tunesien nicht mehr Parteien gewählt, sondern bloss einzelne Politiker. Das erschwere es den Politikern enorm, sich zu organisieren. Die Bevölkerung wiederum übe sich in extremer Zurückhaltung, wenn es darum geht, sich politisch zu äussern.