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Frauen und der Nobelpreis Weshalb Frauen so selten einen Nobelpreis erhalten

Der Nobelpreis wurde in seiner 120-jährigen Geschichte exakt 59 Mal an Frauen verliehen. Die Ärztin Carolin Lerchenmüller erklärt, warum dies so ist und was getan werden müsste, damit Frauen in der Forschung künftig mehr Beachtung finden.

Carolin Lerchenmüller

Ärztin

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Carolin Lerchenmüller ist Ärztin für Kardiologie am Universitätsspital Heidelberg. Sie forscht zudem zum Thema Frauen in der Wissenschaft.

SRF News: Warum erhalten immer noch nur wenige Frauen einen Nobelpreis?

Carolin Lerchenmüller: Der Hauptgrund ist das, was wir häufig als «Leaky Pipeline» beschreiben. Das heisst, gerade in den Wissenschaften mangelt es nicht an Nachwuchs. Da haben wir eine hohe Repräsentation von Frauen, aber es fehlt an der Transition in Führungspositionen.

Gibt es auch noch andere Gründe?

Es gibt noch einige andere Gründe. Alle, die zur Leaky Pipeline führen, gehen auch mit rein. Ein anderer sehr wichtiger Grund ist, dass wissenschaftlich belegt werden konnte, dass Frauen für ihre Arbeit weniger Beachtung erhalten. Das bezieht sich nicht nur auf die Beachtung von der sogenannten Peergroup. Also zum Beispiel, wie häufig werden Forschungsarbeiten von Frauen in weiteren Forschungsarbeiten zitiert, sondern es bezieht sich auch beispielsweise auf öffentliche Berichterstattungen.

Es konnte wissenschaftlich belegt werden, dass Frauen für ihre Arbeit weniger Beachtung erhalten.
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Nobelpreise werden vor allem von Männern vergeben. Werden Frauen bei der Preisvergabe einfach vergessen oder absichtlich übergangen?

Absichtlich übergangen würde ich nicht direkt unterstellen. Aber es gibt Hinweise und eine gute Studienlage darüber, dass wir alle mit einem häufig unbewussten Bias zu tun haben. Und genau so ist es auch in akademischen Berufen. Oftmals traut man dem einen Geschlecht etwas mehr zu. Man denkt zum Beispiel oft, Frauen sind die besseren Hochschullehrerinnen. Auch das sieht man dann in der Preisvergabe. Preise für Lehrtätigkeiten oder Mentoring gehen häufiger an Frauen; die Preise für akademische Leistung im Rahmen von Forschungsarbeiten hingegen an Männer.

Gender Bias kurz erklärt

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Beim Gender Bias handelt es sich um geschlechtsbezogene Wahrnehmungsverzerrungen. Einem Geschlecht wird eine Leistung mehr zugetraut als dem anderen Geschlecht, ohne dass es dafür eine Grundlage gibt, die tatsächlich leistungsbasiert ist, erklärt Carolin Lerchenmüller. «Bei gleicher Leistung wird häufig schon in der Grundschule den Jungs zugesprochen, dass sie besser in Mathematik sind, obwohl wir heute alle wissen, dass das nicht der Fall ist.»

In einigen Fächern bekommen Frauen äusserst selten einen Nobelpreis. Repräsentiert hier der Nobelpreis nicht einfach den Anteil der Frauen in diesen Wissenschaften?

Die Zahl der Frauen, die für einen Nobelpreis infrage kommen, ist prozentual etwas geringer. Aber selbst wenn man die relativen Anteile berechnet, sieht man, dass die hoch dotierten, hochrangigen Preise zu wenig an Frauen gehen. Auch wenn es in gewissen Fächern schon im Studium sicherlich eine Unterrepräsentation von Frauen gibt, gehen relativ gesehen zu wenig Preise an diese Frauen.

Porträt von Maria Ressa, die an der Kamera vorbei lächelt
Legende: Auf der Liste der Nobelpreisträgerinnen und -träger 2021 findet sich genau eine Frau: Maria Ressa, die für ihre journalistische Arbeit auf den Philippinen ausgezeichnet wurde Reuters

Was müsste sich ändern, damit Frauen in der Forschung künftig mehr Beachtung geschenkt wird?

Einer der wichtigsten Punkte ist in den Wissenschaften und der Akademie die Anerkennung, wie wichtig es ist, dass Frauen in der Forschung sind. Wir müssen unbedingt weg von diesem Sprachgebrauch «wir brauchen jetzt mehr Frauen». Warum brauchen wir mehr Frauen? Weil Frauen wahnsinnig viel Perspektive und Qualität der Arbeit an den Tisch bringen. Das alles ist nachgewiesen.

Es ist wichtig zu verstehen, dass wir Frauen nicht nur fördern, weil wir Frauen fördern müssen und das irgendwer mal gesagt hat. Man muss erkennen, dass es einen echten Wert für Organisationen hat.
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Wir wissen auch, dass bunte und diverse Teams die Produktivität und die Profitabilität steigern. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir Frauen nicht nur fördern, weil wir Frauen fördern müssen und das irgendwer mal gesagt hat. Man muss erkennen, dass es einen echten Wert für Organisationen hat. Es muss in der Gesellschaft ankommen, dass es wichtig ist, dass hier nicht auf Basis eines Geschlechts jemand für gut oder schlecht befunden werden kann. Die ganze Wissenschaft hat bewiesen, dass das Gegenteil der Fall ist.

Das Gespräch führte Zoe Geissler.

SRF 4 News, 15.10.2021, 06:19 Uhr ; 

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