Jahrelang war die EU in der Defensive. Entwicklungen wie der Erfolg von EU-kritischen Parteien, ihre Unfähigkeit, der steigenden Anzahl von Flüchtlingen zu begegnen und die Schulden der südeuropäischen Staaten machten der Union zu schaffen. Das soll sich nun ändern – zumindest wenn es nach den Teilnehmern des EU-Gipfels in Brüssel geht.
Demonstrativ sind sie dieses Mal zusammengestanden. Mit vereinten Kräften wollen sie gegen die Drohszenarien ankämpfen, die von Ost und West auf Europa zukommen – beispielsweise durch eine geplante Verteidigungsunion, die ohne die Stimme der kritischen Briten jetzt wieder deutlich denkbarer wird. Einer wird bei dieser Entwicklung besonders als Lichtfigur gehandelt: der französische Präsident Emmanuel Macron.
Der Neue in der Runde
Macron nutzte die Bühne, die ihm der Gipfel bot, gewährte den anwesenden Journalisten extra eine halbstündige Medienkonferenz, auch wenn es eigentlich gar noch nichts Wichtiges zu sagen gab und gab dem Gipfel mit seinem Ausspruch des schützenden Europa («L’Europe qui protège») sogar so etwas wie einen Slogan.
Im Unterschied zu seinem Vorgänger François Hollande mischt sich Macron in den Streit um die Flüchtlingsverteilung ein.
Laut SRF-EU-Korrespondent Oliver Washington sollte man Macrons Rolle aber nicht überbewerten. «Nicht Macron hat die Agenda des Gipfels zusammengestellt, er hat sie einfach sehr gut genutzt», sagt er im Gespräch mit SRF. Beim aktuellen Gipfel stünden sehr viele Themen auf der Agenda – darunter Sicherheit, Klimawandel und Freihandel. Macron könne seine Wahlsprechen auf all diese Themen übertragen und daraus Kapital schlagen.
Gleiche Kritik, neue Stimme
Zudem sei es unter europäischen Politikern gerad in Mode, sich im Glanz des Franzosen zu sonnen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel betonte beispielsweise gleich die exzellente bilaterale Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich. Washington: «Hier muss man erwähnen, dass diese Zusammenarbeit schon vor einem Jahr – also vor seiner Amtszeit – begonnen wurde.» Macron könne nun die Früchte davon ernten.
Ähnlich sehe es bei seiner Kritik an den osteuropäischen Staaten aus, denen Macron mangelnde Solidarität vorwirft. Auch das sei nicht wirklich Neuland, sagt Washington. Die europäische Kommission äussere schon lange solche Kritik und habe vor einigen Wochen Vertragsverletzungsverfahren gegen Länder eingeleitet, die bei der Umverteilung von Flüchtlingen nicht mitmachen. Washington: «Im Unterschied zu seinem Vorgänger François Hollande mischt sich Macron hier ein.» Das gefalle vielen und bringe tatsächlich frischen Wind.
Frischer Wind oder laues Lüftchen
Ob es sich dabei aber um einen starken Wind oder nur ein kleines Lüftchen handle, könne man heute noch nicht sagen. «Wir werden Macron an seinen Taten und Erfolgen messen müssen», sagt Washington. Dafür sei es noch zu früh.
Etwas habe sich aber in der EU in relativ kurzer Zeit geändert: «Das Klima ist besser, es ist wieder Zuversicht zurückgekehrt», sagt Washington. EU-Ratspräsident Donald Tusk schreibe denn auch in seinem Einladungsschreiben zum Gipfel, dass die EU erstmals wieder nicht als Problem, sondern als Lösung für Probleme wahrgenommen werde.
Das habe sicher ein wenig mit Macron zu tun. Wahrscheinlich aber noch viel mehr mit dem Brexit. Dieser hatte die Befürchtung geschaffen, dass es daraus einen Dominoeffekt geben könne. Jetzt sehe man, dass dieser Effekt nicht ausgelöst werde und dass so ein Ausstieg schwieriger wird als viele gedacht hätten. «Das löst bei den Anderen eine positive Grundstimmung aus», sagt Washington.