Punkt 11.36 Uhr gibt es eine Schweigeminute in Gedenken an die Opfer des Unglücks vor fünf Jahren. Zuvor wurde an der Gedenkfeier die Nachricht von Senatspräsident Ignazio la Russa verlesen. «Der erste Gedanke gilt – mit tiefster Betroffenheit – den 43 Personen, die an jenem schrecklichen Morgen des 14. Augusts 2018 ihr Leben verloren. Ihren Familien und allen, die von dieser Tragödie mitbetroffen waren. Die Wunden jener Katastrophe sind noch immer offen.»
Der verheerende Einsturz der Morandi-Brücke am 14. August 2018 riss 35 Autos und drei Lastwagen mit sich und forderte 43 Menschenleben. Hunderte, die unter der Brücke wohnten, wurden auf einen Schlag obdachlos. 2023 gibt es zwar eine neue Brücke und ein Denkmal, doch das Leben in dem Viertel ist trist.
Die mutmasslich Verantwortlichen sprachen lange Zeit von der «Unwägbarkeit des Schicksals» oder beriefen sich auf ein Unwetter, das zum Zeitpunkt des Einsturzes über die Stadt fegte. Experten sind sich jedoch sicher, dass der Grund für den Zusammenbruch Schäden waren, die wegen ausgebliebener oder mangelhafter Wartungsarbeiten nicht entdeckt worden waren. Nur so lasse sich das Unglück erklären. Offenbar war auch den Betreibern der Brücke deren Einsturzgefahr schon lange bekannt.
59 Angeklagte im Prozess
Die Angehörigen der Opfer warten noch immer auf die Justiz. Denn über die genauen Umstände und die Verantwortlichkeit für das Unglück wird bis heute vor Gericht gestritten. Der Prozess begann erst knapp vier Jahre nach der Katastrophe um die Autobahnbrücke im Juli 2022. 59 Angeklagte gibt es, die sich in dem Prozess gegenseitig Verantwortung zuschieben.
Egle Possetti, die Sprecherin des Opferverbandes, fürchtet zwar, dass es «so wie immer in Italien enden wird – ohne Verantwortliche», wie sie der Zeitung «La Stampa» sagte. Doch sie will die Hoffnung nicht aufgeben.
Die Morandi-Brücke: vom Unglück bis zum Neubau
Für sie war es ein langer Kampf, dass es überhaupt zu einem grossen Prozess kam. «Es gibt so viel Bitterkeit und ein tiefes Gefühl der Hilflosigkeit», sagte Possetti. In dem Prozess soll geklärt werden, inwiefern der Einsturz hätte verhindert werden können. Angeklagt sind beispielsweise Fachleute und frühere Führungskräfte der Firma, die für die Wartungsarbeiten zuständig waren, Ex-Mitarbeitende des Infrastrukturministeriums und Behördenfunktionäre.
Infrastrukturminister Matteo Salvini betont, dass er an einem Gesetz arbeite, das Opfer von Nachlässigkeit den Opfern von Terrorismus gleichstelle.
Definitive Gedenkstätte noch ausstehend
Seit 2018 ist viel passiert. Ein halbes Jahr nach der Tragödie wurden die Überreste der Brücke abgerissen. Unter der Federführung von Star-Architekt Renzo Piano begann knapp ein Jahr danach offiziell der Bau einer neuen Brücke, die über das Tal führt. Im August 2020 wurde sie unter dem Namen San-Giorgio-Brücke feierlich eingeweiht.
Auch dort, wo einst die Menschen ihre Häuser verlassen mussten, hat sich einiges verändert. Mehrere Wohnblöcke mussten nach dem Einsturz abgerissen werden. Auf dem Areal unter der Brücke arbeitet die Stadt noch immer an einer würdevollen Gestaltung.
Bisher wurden eine provisorische Gedenkstätte und ein Spielplatz mit Schaukeln und einer Skateanlage gebaut. Das Herzstück ist eine Installation mit einem Holzpodest und 43 Bäumen – einem Baum für jedes Todesopfer. Die grosse Anlage «Parco del Ponte» mit der endgültigen Gedenkstätte steht jedoch noch aus.