Zum Inhalt springen

Header

Zur Übersicht von Play SRF Audio-Übersicht

Für Warschau kein Verbrecher Polens Sicht auf die Sprengung der Nordstream-Pipeline

In Polen sitzt ein Verdächtiger der Sprengung der Nordstream-Pipeline in Auslieferungshaft. In Warschau hält man ihn nicht für einen Verbrecher.

Es war vor über drei Jahren, der russische Krieg gegen die Ukraine tobte schon mehrere Monate lang. Da tauchten die ersten Berichte über eine Sprengung der stillgelegten Nordstream-Pipelines auf. Untersuchungen folgten und inzwischen haben die deutschen Behörden mehrere Verdächtigte zur Fahndung ausgeschrieben. Zwei Ukrainer wurden festgenommen, einer von ihnen sitzt in Polen in Untersuchungshaft. Ein polnisches Gericht muss nun entscheiden, ob er an Deutschland ausgeliefert wird. 

Person mit Kapuze und Mütze in einem Raum.
Legende: Dieser Mann wird verdächtigt, die Nordstream-Pipeline sabotiert zu haben. Er sitzt in polnischer Untersuchungshaft. REUTERS/Kacper Pempel

Die Pipelines hatten immer eine politische Dimension, Polen war von Anfang an gegen das Projekt. Und so überrascht es nicht, dass sich Polens Regierungschef Donald Tusk einmischt. Er meinte letzte Woche, der Entscheid, den Verdächtigten nach Deutschland zu überstellen, liege zwar beim Gericht. Doch eine Auslieferung sei nicht im Interesse Polens. Er ergänzte: Das Problem mit Nordstream sei nicht, dass die Pipeline gesprengt worden, sondern dass sie gebaut worden sei.  

Er sehe das genauso, sagt der polnische Historiker und Russlandexperte Slawomir Debski. Polen halte die Sprengung der Pipeline nicht für ein Verbrechen. Der 54-Jährige sagt, er halte die Sprengung für einen Akt der Selbstverteidigung, gedeckt von der UNO-Charta.

Mann mit Glatze in kariertem Sakko sitzt lächelnd vor hellen Hintergrundfliesen.
Legende: Slawomir Debski hat jahrelang die polnische Regierung beraten und war an unzähligen internationalen Konferenzen und Treffen zu Nordstream dabei. SRF/Judith Huber

Nordstream, so betont Debski, sei eine russische Pipeline, Russlands Staatskonzern Gazprom hält die Mehrheit. Durch Nordstream floss elf Jahre lang russisches Gas nach Europa und spülte Milliarden in die Kriegskassen des Kremls. 

Hätte Russland Polen oder die baltischen Staaten angegriffen, dann hätte Warschau die Pipelines ins Visier genommen.
Autor: Slawomir Debski Historiker und Russlandexperte

Ob das Recht auf Selbstverteidigung tatsächlich so weit geht, darin sind sich nicht alle einig. In Polen aber ist die Sache klar. Debski sagt: «Nordstream galt auch in der polnischen Verteidigungsplanung als legitimes militärisches Ziel. Hätte Russland Polen oder die baltischen Staaten angegriffen, dann hätte Warschau die Pipelines ins Visier genommen.»  

Der Russland-Experte erinnert daran, dass Polen und andere osteuropäische Länder Nordstream von Anfang an als Sicherheitsrisiko betrachteten, dass Deutschland das Projekt aber gegen alle Widerstände durchdrückte. Polen wusste: Russland benützt Energie auch als Waffe. 

Deutsche Kollegen nahmen Befürchtungen nicht ernst

Das habe Polen schon in den neunziger Jahren erlebt, im Zusammenhang mit der Yamal-Erdgas-Pipeline. Was Polen damals auch begriff: Mit dem Erdgas importierte man auch Korruption. Debski sagt: «Wenn ich meinen deutschen Kollegen gesagt habe, passt auf, Ihr werden nicht nur Gas importieren, sondern auch ein ganzes kriminelles Konstrukt, dann war das nicht nur Theorie, sondern eine Erfahrung, die wir gemacht hatten.» 

Luftaufnahme von Gaslecks im Meer.
Legende: Die Nordstream-Pipelines wurden im September 2022 sabotiert. Reuters/Danish Defence Command

Doch die deutschen Kollegen hätten die Einwände nicht ernst genommen. Mehr noch, sie hätten die Kritiker verspottet. Als dann Bundeskanzler Gerhard Schröder, der sich stark für den Bau von Nordstream eingesetzt hatte, kurz nach dem Ausscheiden aus dem Amt einen hochdotierten Job bei Gazprom übernahm – da sahen sich Kritiker wie Debski in ihren Befürchtungen bestätigt. Russland, so schien es, hatte es geschafft, die deutsche Elite zu korrumpieren. 

Die europäische Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, informiert zu werden.
Autor: Slawomir Debski Historiker und Russlandexperte

Deshalb verlangt Debski völlige Transparenz zu Nordstream, konkret: ein Weissbuch zu den damaligen Vorgängen. Die europäische Öffentlichkeit habe ein Recht darauf, informiert zu werden. 

Das polnische Gericht hat nun bis Anfang November Zeit, zu entscheiden, ob es den Verdächtigten in Sachen Nordstream Deutschland ausliefern wird.

Diskutieren Sie mit:

Echo der Zeit, 16.10.2025, 18 Uhr

Meistgelesene Artikel