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Fukushima kämpft um seinen Ruf Touristentouren in die Sperrzone

Acht Jahre nach der Atomkatastrophe dauern die Aufräumarbeiten noch immer an – Hoffnung bietet der Tourismus.

Shouzu Sasaki zeigt auf die grossen schwarzen Säcke, die sich zu Tausenden in der Landschaft türmen. Entlang der Strassen, auf Wiesen, auf Reisfeldern – die Säcke sind gefüllt mit kontaminierter Erde. Sie stehen da wie Mahnmale, die die Menschen an die Atomkatastrophe erinnern. Sasaki ist hier aufgewachsen und arbeitet für die Präfektur Fukushima im Bereich Wirtschaftsförderung.

Schwarze Säcke.
Legende: Mahnmale der Atomkatastrophe: Säcke voller kontaminierter Erde. SRF

Fünf Minuten Autofahrt von den schwarzen Säcken entfernt steht ein traditionelles japanisches Holzhaus. Es ist Sasakis Elternhaus. Daneben ein kleines Café, doch seit der Atomkatastrophe ist es geschlossen. Damals wurde das ganze Dorf evakuiert. «Wir haben das ganze Dorf verloren.» Nur sieben Familien seien zurückgekommen. «Und von diesen wiederum nur die Eltern – alle sind sie über 60 Jahre alt.»

Shouzo Sasaki vor seinem alten Haus.
Legende: Shouzo Sasaki, hier vor seinem Elternhaus, findet, die Region werde in den Medien oft schlecht gemacht. SRF/Matin Aldrovandi

Auch Shouzo Sasakis Vater lebt noch hier. Er ist über 90, doch weg will er nicht. Junge Menschen kommen keine mehr her. Und dies obwohl die meisten Dörfer und Städte von der Regierung wieder für sicher erklärt worden sind. Denn: Es gibt wenig Perspektiven. Die sozialen Folgen der Atomkatastrophe sind verheerend.

Shouzo Sasaki hat viele Ideen, wie man die Region wiederbeleben könnte. Einen Solarpark hat man bereits angelegt, auch schwebt ihm eine Rinderzucht vor. Auf einigen Feldern wird sogar wieder Reis angepflanzt. Doch Nahrungsmitteln aus der Region haftet ein Stigma an – der Name «Fukushima» wirkt nicht gerade verkaufsfördernd.

Die dreifache Katastrophe von Fukushima

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Am 11. März 2011 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 9,1 die Region Tohoku im Nordosten Japans. Das Beben, dessen Epizentrum rund 370 Kilometer vor der Küste lag, löste einen Tsunami aus. Beben und Tsunami forderten mehr als 19'000 Todesopfer. Im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi kam es in der Folge in drei Reaktorblöcken zur Kernschmelze, grosse Mengen an Radioaktivität wurden freigesetzt. Mehr als 150'000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Das Gebiet rund um das Kraftwerk ist bis heute unbewohnbar.

Auch deshalb will Sasaki aufklären. Denn die Region würde in den Medien oft schlecht gemacht. Die Menschen hier hätten genug von Negativschlagzeilen. Dazu hat er eine Tour ins Leben gerufen. Sie heisst «Real Fukushima» – das echte Fukushima. Sasaki nimmt Reservationen von interessierten Besuchern aus der ganzen Welt entgegen.

Reiseleiterin Karin Taira.
Legende: «Weniger Strahlung als beim Zahnarzt»: Karin Taira führt Touristen durch die Sperrzone. SRF/Martin Aldrovandi

Karin Taira ist Reiseleiterin bei «Real Fukushima». Eine kleine Touristengruppe sitzt gerade bei ihr im Auto. Taira fährt sie rund um das Daiichi Atomkraftwerk – in der Sperrzone, die zum Wohnen noch immer nicht als sicher erklärt wurde. «Wir kriegen weniger radioaktive Dosis ab, als wenn man sich beim Zahnarzt röntgen lässt», sagt die Reiseleiterin.

Als Aktivistin sieht sich Taira nicht: «Wir bringen keine politischen Argumente vor, sind weder für noch gegen Atomenergie. Wir freuen uns, wenn die Teilnehmer beginnen, sich dank der Tour selbst Gedanken zu machen.»

Die Bilder in der Sperrzone sprechen aber für sich: Verlassene Häuser und Wohnungen, Bäume und Sträucher, die über Autos wuchern. Ein Büro mit Computern, Papier und Ordnern auf den Tischen oder eine Modeboutique mit der Kleider-Kollektion von 2011 – alles ist noch da, nur die Menschen fehlen. Auch beim Altersheim, das hastig evakuiert wurde, stehen noch die Tassen auf den Tischen.

Bilder aus der Sperrzone

Zugang zur Sperrzone gibt es nur mit vorheriger Genehmigung – inklusive Passkontrolle. Zum Wohnen ist es hier noch nicht sicher genug. Die Touristengruppe ist denn auch nur kurz in der Sperrzone.

Mehrmals fällt der Name «Netflix» – die Streaming-Plattform hat in ihrer Serie «Dark Tourist», in der ungewöhnliche oder makabere Touristenziele präsentiert werden, auch Fukushima vorgestellt. Und dabei übertrieben und reisserisch berichtet, ärgert sich die Reiseleiterin. Gaffer sind hier nicht erwünscht: «Zeigen Sie Respekt. Sie dürfen Fotos machen, aber bitte keine Selfies mit Peace-Zeichen oder ähnliches.»

Aus dem Archiv: So berichtete die «Tagesschau» über die Katastrophe von Fukushima

Auch sollen die Besucher nicht in die Privatwohnungen hineinfotografieren – zwar stünden die Wohnungen jetzt leer, die Privatsphäre ihrer früheren Bewohner gelte es trotzdem zu respektieren. Karin Taira betreibt nebenbei eine kleine Touristenpension im Städtchen Odaka. Der Ort hatte vor der Katastrophe 13'000 Einwohner.

Odaka wurde inzwischen für sicher erklärt, trotzdem kehrte nur ein Viertel der früheren Bewohner zurück. Auch die Touristenzahl sei noch begrenzt, sagt Taira. Und trotzdem hat sie Hoffnung: «Besonders, weil wir in Tokio 2020 die Olympischen Spiele haben. Bis dann möchten wir den Tourismus in der Region entwickeln – mit Studienreisen für Menschen aus aller Welt.»

Gegen Ende der Tour bietet sich den Besuchern ein herziges und gleichzeitig bedrückendes Bild: Ein junges Wildschwein spaziert gemütlich entlang der Strasse, es lässt sich von den Besuchern nicht aus der Ruhe bringen. Wilde Tiere seien in der Sperrzone inzwischen Alltag, erklärt Taira. Jetzt wo die Menschen weg sind, übernimmt die Natur das Gebiet.

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