Wenn Kroatien im Final der Fussball-WM gegen Frankreich spielt, dann sitzt auf der Ehrentribüne in Moskau auch Kolinda Grabar-Kitarovic. Die kroatische Präsidentin lässt es sich nicht nehmen, bei den Erfolgen ihrer Nationalmannschaft dabei zu sein, und freut sich über jedes kroatische Tor. Wenn sie sich im Glanz der Fussballer sonnt, hat das aber auch handfeste politische Gründe, wie Zarko Puhovski, Professor für Politologie, erklärt.
SRF News: Kann Kroatiens Präsidentin Grabar-Kitarovic politisch vom Erfolg der kroatischen Fussball-Mannschaft profitieren?
Zarko Puhovski: Das kann sie, und das ist schon geschehen. Sie ist jetzt viel beliebter als vor drei oder sechs Monaten, oder vor einem Jahr. Sie ist eine überparteilich akzeptierte Politikerin und Staatsfrau. Nicht eine mit ideologischen oder weltanschaulichen Akzenten, sondern eine aus dem Volk.
Erkennt das Volk, dass sie sich im Glanze des Fussballteams sonnen will?
Ja, das akzeptiert man hier, das ist sehr wichtig. Es gab zwar auch einige kritische Bemerkungen in der Öffentlichkeit. Aber die Leute, die sich so äussern, werden von vielen Seiten als Feinde oder Feiglinge bezeichnet. Oder als Leute, die keine Patrioten sind, und die sich nicht als gute Kroaten zeigen.
Die Präsidentin trägt keine praktische Verantwortung für politische Massnahmen. Sie ist eine Aussenseiterin.
Können andere politische Kräfte von diesem sportlichen Erfolg profitieren?
Wahrscheinlich nicht, denn die Präsidentin war die erste. Und wir haben jetzt zwei Monate lang Pause im Parlament. Die anderen Politiker sind zudem zu sehr mit den täglichen Problemen des Landes beschäftigt. Die Regierung, die Minister sind verantwortlich für viele der negativen Aspekte der kroatischen Realität. Die Präsidentin trägt dagegen keine praktische Verantwortung für politische Massnahmen. Sie ist eine Aussenseiterin im politischen Kampf.
Das heisst, das Volk unterscheidet zwischen dem, was die Präsidentin tut, und dem, was die Regierung nicht tut?
Man versteht den Unterschied zwischen dem, was die Regierung tut, und der Tatsache, dass die Präsidentin praktisch nichts zu tun hat. Wegen der Verfassung und wegen ihrer Position kann sie nicht verantwortlich sein.
Was müsste die Regierung in den aktuellen politischen Geschäften tun?
Einige Reformen – besonders jene des Gesundheits- und des Rentensystems – kommen nur sehr langsam und mit vielen Hürden voran. Man wird in nächster Zukunft nicht nur keinen Erfolg sehen, sondern auch kein Ende des Prozesses.
Die Euphorie wird wahrscheinlich anhalten, ob die Kroaten Weltmeister werden oder nicht. Aber kann die Regierung das Problem mit dem staatlichen Rentenfonds dadurch weiter vor sich herschieben?
Ja. In zwei Monaten, nach der Sommerpause, kommt der Herbst, und damit der Regen. Dann werden die Erfolge der Nationalmannschaft fast vergessen sein. Und die Realität wird wieder da sein. Die Präsidentin wird irgendwo weg von diesen Problemen existieren. Und die Regierung und die Opposition ringen mit den täglichen Problemen – wahrscheinlich nicht erfolgreicher als bisher, leider.
Der sportliche Erfolg der Nationalmannschaft löst patriotische, ja nationalistische Gefühle aus. Wie reagieren die Nachbarländer Serbien und Bosnien auf dieser Gefühlsausbrüche der Kroaten?
Das ist ziemlich interessant. Es gibt sehr viel Unterstützung für die kroatische Mannschaft aus Serbien und aus Bosnien-Herzegowina. Viel mehr, als zu erwarten war. Aber es gibt auch Reaktionen – besonders offizielle Reaktionen und halboffizielle in den Medien – gegen die Tatsache, dass man in Kroatien 27 Jahre nach der Unabhängigkeit des neuen Staates den Patriotismus im nationalen Sinne interpretiert. Und das stört einige Nachbarn, besonders die Politiker und Politikerinnen auf beiden Seiten ausserhalb von Kroatien.
Das Gespräch führte Daniel Hofer.