Das Wichtigste in Kürze:
- Am 15. Juli vor einem Jahr wurde der Putschversuch in der Türkei niedergeschlagen. Im Land fanden darum Gedenkfeiern statt.
- Präsident Recep Tayyip Erdogan hielt Ansprachen in Istanbul und in Ankara. Dabei verlieh er seiner Abscheu vor den Putschisten Ausdruck – und forderte ein erbarmungsloses Vorgehen.
- Zudem sprach sich der türkische Präsident abermals für die Wiedereinführung der Todesstrafe aus.
- Die Opposition warf der Regierung hingegen vor, unter dem Vorwand der Putschistenverfolgung die Rechtsstaatlichkeit auszuhöhlen und ihre Gegner auszuschalten.
Genau ein Jahr nach dem Putschversuch in der Türkei bleibt die Rhetorik der politischen Führung scharf: Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte am Samstagabend an einer Gedenkveranstaltung in Istanbul vor hunderttausenden Anhängern, man werde «den Verrätern die Köpfe abreissen». Diese sollten vor Gericht Uniformen wie in Guantanamo tragen, erklärte er weiter. Damit spielte Erdogan auf das US-Gefangenenlager an, in dem Terrorverdächtige festgehalten werden.
Zudem sprach sich der türkische Präsident abermals für die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei aus: Sollte das Parlament ein solches Gesetz beschliessen, würde er es unterschreiben, so Erdogan.
Um 2:32 Uhr Ortszeit trat Erdogan dann in Ankara auf – exakt zu jenem Zeitpunkt, zu dem vor einem Jahr das Parlament von den Putschisten bombardiert wurde. Die wichtigsten Oppositionsparteien hatten an der Gedenkfeier in der Hauptstadt kein Rederecht und blieben dieser fern.
Das Parlament in Ankara hatte zuvor bei einer Sondersitzung die «Märtyrer und Helden» der Putschnacht gewürdigt. «Es ist ein Jahr her, dass aus der dunkelsten Nacht die Nacht der Helden wurde», sagte Regierungschef Binali Yildirim bei seiner Ansprache. Er bezeichnete die Putschnacht als einen siegreichen «zweiten Unabhängigkeitskrieg» und bezog sich damit auf den Krieg nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs, aus dem 1923 die Türkische Republik hervorgegangen war.
Vorwürfe an die Regierung
Der Chef der grössten Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, warf der Regierung «Behinderungen» bei der Aufarbeitung der Putschnacht vor. «Über das vergangene Jahr hinweg haben sich alle Rechtsabläufe immer weiter vom gesetzlichen Rahmen entfernt», sagte er. «Die Justiz wurde zerstört.»
«Statt einer schnellen Normalisierung haben sie einen bleibenden Ausnahmezustand erschaffen», sagte Kilicdaroglu. Für eine vollständige Aufarbeitung des Putsches müssten diejenigen, die die Putschisten «an den empfindlichsten Stellen des Staates» platziert hätten, zur Rechenschaft gezogen werden, forderte der CHP-Chef mit Blick auf die Regierung.
Suspendierungen und Entlassungen
Der stellvertretende Chef der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP, Ahmet Yildirim, kritisierte unter anderem die Massenentlassungen und Inhaftierungen von HDP-Abgeordneten und warf der Regierung vor, einen «zweiten Putsch» durchgeführt zu haben.
Im Zuge der Notverordnungen griff die Regierung mit aller Härte gegen ihre Kritiker und politischen Gegner durch. Mehr als 50'000 Menschen sind seit der Putschnacht in der Türkei inhaftiert worden, mehr als 100'000 Staatsbedienstete entlassen oder vom Dienst suspendiert.
Betroffen sind neben tausenden Militärs, Polizisten, Staatsanwälten und Richtern auch kurdische Oppositionelle, kritische Journalisten und unabhängige Wissenschaftler.
Regierung beschuldigt Gülen-Anhänger
Eine Gruppe Militärs hatte vor einem Jahr versucht, die Macht in der Türkei an sich zu reissen. Dass der Putsch vereitelt wurde, wertet die türkische Regierung als einen historischen Sieg der Demokratie. Erdogan machte damals umgehend den islamischen Prediger Fethullah Gülen für den Umsturzversuch verantwortlich. Der in den USA lebende Geistliche bestreitet jede Beteiligung.
International stiess das harte Vorgehen Erdogans gegen seine Gegner auf scharfe Kritik. Ankara warf seinen westlichen Partnern dagegen einen Mangel an Solidarität vor. Heute ist das Verhältnis zu wichtigen Verbündeten zerrüttet, während die Türkei selbst tief gespalten ist.