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Gefährliche Stoffe in Tattoos «Es ist noch niemand daran gestorben»

Für Tattoostudios und ihre Kunden wäre das Verbot von zwei Pigmenten in Farben ein Problem. Auch für die älteste Tätowierstube Deutschlands in Hamburg.

Vor der ältesten Tätowierstube Deutschlands in einer ruhigen Nebenstrasse der Reeperbahn in Hamburg steht Beate. Die 59-Jährige braucht erst mal eine Zigarette. «Ich bin noch nicht ganz fertig, aber ich musste es abbrechen. Es tat weh.» Die Fledermaus hängt schon filigran ausgearbeitet über den halben Rücken, aber den Ast gibt's erst in Umrissen.

Drinnen überraschen zwei prächtige Räume mit Stuckaturen, edler Tapete und einer Bildergalerie alter Motive. Am Tresen wird ein Interessent aufgeklärt. Es ist ein älterer Herr, mit runder Brille und verspielter roter Mütze. Er will sich ein Comic-Schweinchen tätowieren lassen.

EU will Tattoo-Pigmente verbieten

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Voll tätowierter Rücken mit Gesicht und Blumen
Legende: Keystone/sda

Zwei Farbpigmente, die als Grundstoffe vieler Farben dienen, könnten in der EU bald verboten werden. Die Europäische Chemikalienagentur ECHA mit Sitz in Helsinki hat empfohlen, mehr als 4000 bedenkliche Substanzen bei Tattoo-Farben und permanentem Make-up zu beschränken. Darunter sind auch die Farbpigmente Blue 15 und Green 7, die in zwei Dritteln aller Tätowierfarben enthalten sind. Bis am 16.02.2020 läuft in Deutschland eine Online-Petition unter dem Titel #tattoofarbenretten. Mehr als 143'000 Unterstützende, darunter nach Angaben der Initiative auch einige prominente Fussballer, haben bereits unterschrieben.

Da staunt selbst Sebi. Ihm gehört der Laden mit der langen Geschichte. Er hat sie noch alle gekannt, die Tätowierlegenden, die bis ins hohe Alter hier gearbeitet haben und sich ganze Segelschiffe auf den Bauch stechen liessen.

Totenköpfe sind unverwüstliche Motive

Jetzt sitzt der gelernte Landschaftsgärtner auf dem englischen Ledersofa und freut sich über den sonderbaren Wunsch. «Es gibt Trends, die dauern vielleicht ein Jahr oder anderthalb Jahre. Und da siehst du jeden zweiten Tag, dass die Leute mit den gleichen Sachen ausgedruckt aus dem Internet kommen. Die haben keine eigenen Ideen.» Die Moden kommen in Wellen. Erst waren es Tribals, Stammesverzierungen, dann asiatische Zeichen, Sternchen, später Buchstaben, Namen.

Sebi sagt, er rechne es seinen Kunden deshalb hoch an, wenn sie mit eigenen Einfällen kämen, egal, ob die auf andere befremdend wirkten oder nicht.

Am liebsten macht Sebi die zeitlosen Totenköpfe. «Als ich hier angefangen habe, war es der Standard, dass man keine festen Termine abgemacht hat, sondern morgens die Leute eingeteilt hat, die sich die Motive von den Wänden ausgesucht haben.» Jeder Tätowierer habe im Tag drei bis fünf Tattoos gestochen.

Keine Gesichtstattoos

Kleinere, spontane Anfragen werden heute abgelehnt, Tabu sind auch Hände, Hals, Gesicht. Sebi sagt: «Wenn man sich anguckt, wie Leute sich heute tätowieren lassen, dann haben die nur einen Kragen und Handschuhe und sonst nichts. Früher war es genau andersrum.» Er selbst mag die neue Mode nicht.

Ist die Tattoo-Kultur durch ein Verbot gefährdet?

Beate mit der unfertigen Fledermaus rätselt derweil mit ihrer Tochter über den Zeitpunkt ihres ersten Tattoos. Die Tochter selbst will ein altes Bild ausbessern lassen. Vertrauen ist alles, in den Kunsthandwerker und überhaupt.

«Es gibt schon seit Jahren Leute, die sich tätowieren lassen, und es ist noch nie jemand daran gestorben. So schlimm kann es nicht sein», sagt Beate, denn das drohende Farbverbot ist auch hier Thema. Die Petition liegt auf.

Gibt es einen guten Ersatz?

Es gehe um zwei Pigmente, auf der 65 Prozent der Farben beruhen, wie Sebi erklärt. «Es ist die Frage, ob es gute Ersatzpigmente, die ähnlich sind und genauso gut verträglich sind. Und man weiss auch nicht, ob das Verbot überhaupt durchkommt.»

Die vielen schwarzen Schafe in der Branche wird das nicht kümmern. Hier in der Tätowierstube aber pflegt man den guten Ruf. Für jedes Tattoo wird das verwendete Material dokumentiert. Stammkunden mit einem gewissen Suchtpotential sind so keine Seltenheit.

Rendez-vous, 14.2.2020, 12.30 Uhr

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