Gute Nachrichten aus der Ukraine sind selten. Über die Feiertage gab es sie aber: Die Konfliktparteien haben insgesamt 380 Kriegsgefangene freigelassen – oder, wie das offiziell heisst: Gefangene ausgetauscht. Über diese Gefangenen war monatelang, ja fast jahrelang gefeilscht worden. Der Erfolg ist dem Schweizer OSZE-Vermittler Toni Frisch zu verdanken. Im Gespräch mit SRF News erläutert er, wie er die verhärteten Fronten aufweichen konnte – und ob sich die Lage in der Ostukraine nun weiter entspannen könnte.
SRF News: Wie erleichtert sind Sie, dass es mit der Freilassung der Gefangenen geklappt hat?
Toni Frisch: Ich bin sehr, sehr erleichtert. Es war eine besonders intensive Verhandlungszeit in den letzten Tagen und Wochen. Intensiv war es aber während der ganzen Zweidreivierteljahre, die ich in der Ukraine engagiert bin.
Warum wurde der Austausch möglich? Was hat sich verändert?
Es ist nicht immer einfach, diese Frage zu beantworten. Tatsache ist: Beide Seiten – die Leute aus dem Donbass sowie die Ukrainer – haben immer betont, dass sie diesen Gefangenenaustausch so schnell wie möglich vornehmen möchten. Das haben sie aber schon vor einem Jahr gesagt. Seit 15 Monaten haben wir nun auf diesen Austausch hingearbeitet, verhandelt, gefeilscht. Ich habe oftmals kritisiert, es töne wie auf dem Souk (Basar, Anm. d. Red.) in Marrakesch. Dabei ging es um Menschen und nicht um Ziegen oder Schafe. Nun ist der innenpolitische Druck in der Ukraine so gross geworden, dass die Regierungsseite zu Konzessionen bereit war.
Sie sprechen es an: Die ukrainische Regierung hat 306 Menschen freigelassen. Die Separatisten 74. Wie konnten Sie die Parteien überzeugen, vor allem die ukrainische Regierung?
Das war tatsächlich nicht so einfach. Schon vor einem Jahr habe ich das erste Mal gesagt, dass man nicht davon ausgehen kann, dass die Leute aus Donezk und Lugansk das Verhältnis 1:1 oder alle gegen alle einhalten. Denn die Ukrainer haben wesentlich mehr Gefangene als die Separatisten im Donbass.
Es gibt noch etwa 2000 vermisste Personen, viele sind in Massen- oder Einzelgräbern.
Deshalb schlug ich erstmals vor, im Verhältnis 1:2 auszutauschen. Das hat zunächst für Naserümpfen gesorgt, wurde dann aber akzeptiert. Vor rund einem Jahr wurde ich dann zweimal von einer parlamentarischen Kommission der Ukraine eingeladen. Dort habe ich die Leute überzeugt, dass es so nicht weitergehen kann: Es müsse 1:4 oder 1:5 ausgetauscht werden. Das ist schlussendlich auch akzeptiert worden.
Ist der Moment damit günstig für eine weitere Annäherung zwischen den Konfliktparteien?
Das hoffe ich sehr, und ich glaube es auch. Politisch hochbrisante Themen wurden verdrängt, weil immer die Frage des Gefangenenaustauschs im Vordergrund gestanden hat. Das Momentum muss nun genutzt werden, um einen weiteren Schritt zu machen.
Was ist Ihr nächstes Ziel?
Noch immer gibt es Gefangene auf beiden Seiten. Diese sollten nach Möglichkeit bis zum Frühjahr ausgetauscht werden können. Eng verbunden ist damit die Frage der Vermissten. Es gibt noch etwa 2000 vermisste Personen, viele sind in Massen- oder Einzelgräbern. Es geht nun darum, sie zu finden und die Menschen zu identifizieren. Die sterblichen Überreste zu finden und auszutauschen ist eine gewaltige Aufgabe, die unter Einbezug des IKRK und beider Seiten vollzogen werden muss. Dieser Frage muss eine ähnliche Bedeutung zugemessen werden wie dem Gefangenenaustausch, weil auch dabei die Spannungen gross sind.
Es ist ein schöner Moment: Sie können durch Ihre Vermittlungsarbeit einen Erfolg verbuchen. Trotz Ihrer Pensionierung machen Sie weiter – wie lange noch?
Ich habe den Italienern, welche im nächsten Jahr den OSZE-Vorsitz übernehmen, zugesichert, dass ich nächstes Jahr noch dabei sein werde. Ich werde also bis Ende nächsten Jahres weitermachen.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.