Es ist eine beispiellose Szene: Eine Gruppe von Männern nähert sich dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani und schreit: «Nieder mit den Heuchlern» und «Rohani – amerikanischer Sheikh».
Hardliner beleidigen den moderaten Präsidenten auf offener Strasse mitten in Teheran – ungestraft. Der Präsident marschiert an einer offiziellen, alljährlich stattfindenden Demonstration gegen die israelische Besatzung in Palästina mit.
Mobilisierung der Hardliner
Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Kampagne gegen Rohani, den Wahlsieger vom 19. Mai. Rohani, der moderate Kleriker, der sich im Wahlkampf und nach seinem eindrücklichen Sieg mehr und mehr als Reformer präsentierte. Rohani, der versprach, in seiner zweiten Amstzeit das Land auch innen- und gesellschaftspolitisch zu reformieren.
Dieses Versprechen einzulösen, wird wohl noch schwieriger als gedacht. Denn die Hardliner mobilisieren – und wie. Die sehr klare Niederlage ihres erzkonservativen Kandidaten Ebrahim Raisi macht sie nicht demütig, sondern aggressiv. Und sie bekommen quasi grünes Licht von ganz oben.
Revolutionsführer Khamenei weist Präsident Rohani vor aller Augen zurecht und demütigt ihn. Am 7. Juni an einer Konferenz, an der alle Honorationen des Regimes, der Geistlichkeit und der Jusitz teilnehmen, sagte Khamenei: «Der Präsident spricht immer des Langen und Breiten über die Wirtschaft und sagt, dies müsste man machen und jenes. Aber ich frage mich, wen meint er damit: wer müsste das machen.» Khamanei fährt dann fort: «Er selbst – der Präsident».
Kein Wunschpräsident
Khamenei behauptete vor und nach den Wahlen, er sei neutral, egal ob Rohani oder Raisi – er stehe hinter beiden Kandidaten. Aber die ganze iranische Welt wusste, dass der politisch unerfahrene und ideologisch erzkonservative Raisi Khameneis Wunschpräsident gewesen wäre. Eine Art Neuauflage des Hardliners Ahmedinejaad, der den Iran isolierte und um Jahrzehnte zurückwarf. Aber Rohani gewann mit grosser Mehrheit.
Der Revolutionsführer versucht nun, den aufmüpfigen Rohani in die Ecke und bloss zu stellen. Mit der Botschaft: Geh auf Deinen Platz. Du weisst, wo die Grenzen sind. Diese Strategie könnte kontraproduktiv sein.
Nach der Rede Khameneis und dem Angriff der Hardliner auf den Präsidenten auf offener Strasse, mobilisieren nun auch die Anhänger Rohanis: Unter dem Hashtag «Ich unterstütze Rohani» schwappt eine riesige Solidaritätswelle durch die sozialen Medien. Und konservative und selbst Hardliner-Politiker distanzieren sich öffentlich von den Attacken gegen Rohani.
Diese Angreifer seien unzivilisiert, es sei ein Mob, der nichts mit der konservativen Politik zu tun habe, heisst es da. Und Hassan Rohani selbst? Der gibt sich unbeugsam. Nichts von zurückkrebsen und schweigen: das Volk verleihe dem Präsidenten Macht und Legitimation, sagt Rohani kürzlich vor Universitätsdozenten in Teheran. Niemand sonst.