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Gegenangriffe auf Gaza-Stadt Die Gaza-Bewohner können nirgendwohin

Die Einwohner sollen den Norden des Gazastreifens verlassen. Doch wohin? Ein Betroffener schildert die unmögliche Lage.

Seit Tagen bombardiert Israel den Gazastreifen, als Reaktion auf die Massaker der Hamas an der israelischen Bevölkerung. Ziel der israelischen Militärführung: das Netz des Hamas-Terrors ein für alle Mal zu zerschlagen.

Nun hat das israelische Militär die Bevölkerung dazu aufgefordert, den Norden des Gazastreifens zu verlassen. Denn die israelischen Streitkräfte wollen ihre Angriffe unter anderem auf die Hamas-Verstecke in Gaza-Stadt konzentrieren. Die Warnung des israelischen Militärs versetzt Hilfswerke und Bevölkerung in Gaza in Panik.

Eine Flucht ins Ungewisse

Ein Journalist und Bewohner von Gazas Norden erzählt von der unmöglichen Lage. In der aktuellen Situation möchte er lieber nicht seinen Namen nennen. Er hat schon viele Kriege in Gaza erlebt, besser gesagt: überlebt.

Heute Morgen, kurz nach acht Uhr Lokalzeit, zittert seine Stimme in der Sprachnachricht. Die heftigen Bombardierungen der letzten Tage setzen ihm und seiner Familie, wie allen anderen Menschen in Gaza, stark zu. Es sind Tage und Nächte ohne Schlaf. Und nun also die Warnung des israelischen Militärs: Die Menschen in Gaza-Stadt sollen ihre Häuser verlassen und in den Süden gehen.

Graue Trümmerfelder, dazwischen Strasse, darauf Truck, auf Ladefläche Menschengruppe mit Gepäck
Legende: Das israelische Militär rief 1,1 Millionen Menschen auf, ihre Heimat im Norden des Gazastreifens zu verlassen. Als Grund gaben sie militärische Operationen an. Keystone / EPA / MOHAMMED SABER

Nicht einmal der Journalist weiss, was er jetzt tun soll. Verwandte, Freunde und Nachbarinnen würden ihn anrufen und fragen, ob er genauere Informationen habe. «Als Vater und Ehemann bin ich jetzt am Packen und werde mit meiner Familie in den Süden fahren. Wo wir dort unterkommen, weiss ich nicht.»

Eine Million Menschen – und kaum Platz

Die Warnung des israelischen Militärs betrifft den ganzen Norden des nur 360 Quadratkilometer grossen Gazastreifens, also mehr als eine Million Menschen. Eine Evakuierung sei unmöglich, sagt der Journalist. «Der Gazastreifen ist klein, und diese Entscheidung der Israelis ist eine Katastrophe: Der Süden ist sowieso schon überbevölkert.»

Zehntausende seien jetzt oder schon früher dorthin geflüchtet. Das Palästinenser-Hilfswerk UNRWA habe Tausende in ihren Schulen aufgenommen. «Es hat gar nicht die Kapazität, eine so riesige Anzahl neuer Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen.»

«Hier sind die Grenzen geschlossen»

Die Aufregung in Gaza-Stadt sei gross. Die Menschen sind erschöpft von der tagelangen Bombardierung, ihnen fehlt es an Wasser und Lebensmitteln, die Spitäler sind übervoll mit Verwundeten. Hinzu kommt: Ägypten hat bis jetzt keine Flüchtlinge durch den einzigen anderen Ausgang aus Gaza neben der israelischen Grenze durchgelassen. Denn so viele palästinensische Flüchtlinge will Ägypten nicht.

Die Bevölkerung von Gaza könne nirgendwo hin, sagt der Journalist. Die Situation sei nicht vergleichbar mit jener der Ukraine, wo europäische Staaten ihre Grenzen aufmachten und die ukrainischen Flüchtlinge empfingen, sie versorgten, ihnen Unterkünfte gaben. «Hier sind die Grenzen geschlossen. In Ägypten ist noch kein politischer Entscheid gefallen und wir haben überhaupt keine klare Vorstellung, was jetzt geschehen soll.»

Rendez-vous, 13.10.2023, 12:30 Uhr; kobt

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