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Gehen die Grenzen auf? Türkei und Armenien gehen aufeinander zu

Tauwetter? Die beiden Länder unternehmen einen neuen Versuch, ihre Beziehung zu normalisieren.

Die Niederlage Armeniens im jüngsten Krieg um Berg-Karabach ist noch nicht lange her. Im Herbst 2020 besiegten die Truppen des benachbarten Aserbaidschan innert weniger Wochen die armenischen Streitkräfte. Die militärische Hilfe der mit Aserbaidschan verbündeten Türkei machte das erst möglich.

Dies bestärkte viele Armenier und Armenierinnen in ihrer Überzeugung, dass die Türkei eine Bedrohung ist. Umso erstaunlicher sind die freundlichen Töne, die aus Ankara und Eriwan ertönen. Mitte Januar trafen sich zum ersten Mal die Unterhändler der beiden Länder. Man wolle weiter verhandeln, hiess es danach, bis zur vollständigen Normalisierung der Beziehungen und der Öffnung der Grenzen. Am 2. Februar soll es erstmals wieder Direktflüge zwischen den Metropolen Istanbul und Eriwan geben.

Karte der Region
Legende: Unruhiger Kaukasus: Nördlich von Armenien und Aserbaidschan liegt Russland, das weiter Einfluss auf die ehemaligen Sowjetrepubliken nimmt. Im Westen ist die Türkei, die ebenfalls machtpolitische Ambitionen in der Region hat. SRF

Warum macht die armenische Regierung diesen Schritt? Der Politologe Richard Giragosian in Eriwan meint, die Regierung wolle vor allem die Isolation des Landes beenden. Längerfristig wolle man die unterbrochenen Verkehrswege im ganzen Südkaukasus öffnen.

Isoliertes Armenien sucht nach Ausweg

Tatsächlich ist das kleine Armenien isoliert. Die Grenzen nach Westen, in die Türkei, sind geschlossen, und mit dem östlichen Nachbarn Aserbaidschan befindet man sich in einem Schwebezustand zwischen Krieg und Frieden. Das bedeutet grosse Umwege für den Transport von Menschen und Gütern, und damit weniger wirtschaftliche Entwicklung. Eine solche aber braucht Armenien dringend.

Und: Laut Giragosian hofft die Regierung, dass mehr Handel mit den Nachbarn auch mehr politische Stabilität bringt. Die Befürchtung, dass eine Grenzöffnung auch mehr türkischen Einfluss bedeuten würde, teilt er nicht.

Armenischer Soldat neben der Flagge von Berg-Karabach.
Legende: Den Krieg um Berg-Karabach 2020 hätte Armenien ohne das militärische Zutun der Türkei wohl nicht so schnell und deutlich verloren. Nun nähern sich die beiden Länder wieder an. Im Bild: Armenischer Soldat neben der Flagge von Berg-Karabach. Keystone/Archiv

Es ist nicht der erste Anlauf, den die Türkei und Armenien unternehmen, ihre Beziehungen zu normalisieren. 2009 stand man vor einem Durchbruch, unter Vermittlung der Schweiz. Aber die Türkei setzte die sogenannten «Zürcher Protokolle» nicht um, aus Rücksicht auf das verbündete Aserbaidschan. Denn dieses forderte vergeblich die Rückgabe von Gebieten, die Armenien im ersten Karabach-Krieg Anfang der neunziger Jahre erobert hatte.

Hoffnung auf eine positive Dynamik

Nun hat sich Aserbaidschan diese Gebiete mit Gewalt zurückgeholt. Und tatsächlich heisst es jetzt in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku, man unterstütze eine Normalisierung zwischen Armenien und der Türkei.

Kommt dazu, dass auch Aserbaidschan interessiert ist an einer Öffnung der Transportwege. Und: Man hofft in Baku, dass eine Annäherung zwischen der Türkei und Armenien eine positive Dynamik auslösen und auch die schwierigen Verhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan erleichtern könnte.

Der armenische Experte Giragosian ist erstmals seit längerem optimistisch gestimmt und hält einen Durchbruch zwischen Armenien und der Türkei für möglich. So könnte ausgerechnet die schmerzhafte Niederlage Armeniens im Krieg vor eineinhalb Jahren den Weg ebnen zu besseren Beziehungen zwischen den Nachbarn und zu einem friedlicheren Zusammenleben in der ganzen Region.

Echo der Zeit, 28.01.2022, 18 Uhr

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