Das Wichtigste in Kürze
- Ungarns stärkste Oppositionspartei ist Jobbik: Lange galt sie als rechtsextrem.
- Jetzt bemüht sich Parteipräsident Gabor Vona intensiv um eine neue Linie.
- Er will Jobbik in die Mitte führen und den Platz ganz rechts der zunehmend extremeren Fidesz-Partei von Premier Viktor Orban überlassen.
- Ein heikles Manöver, das ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen die politische Landschaft Ungarns durcheinanderbringt.
Auf Fotos sieht er mal aus wie ein Banker aus, mal wie ein netter Schwiegersohn. Im Interview erinnert der 39-Jährige, dunkles Haar, Seitenscheitel, an einen melancholischen Buchhalter. «In der Politik geht es weniger um Ideologien als früher», sagt Gabor Vona, «sie wird immer pragmatischer.»
Erfolgreiche Politiker würden heute ihre eigene Marke schaffen, so komme es zu Macronismus, Trumpismus, Merkelismus oder Orbanismus. Und was wäre dann «Vonaismus»? «Im Zentrum eines Vonaismus, wenn es den gibt, steht die Frage, wie man Politik für eine Mehrheit der Menschen macht, so, dass sie sich wohlfühlen zu Hause, eine Familie planen und sich sicher fühlen können», erklärt Vona.
Da, wo der Schuh drückt
Das Programm seiner Partei Jobbik ist weniger vage. Die Löhne sollen steigen in EU-Tieflohnländern wie Ungarn, heisst es da, und mehr Geld soll in Gesundheit und Bildung fliessen. Die Partei berührt damit sozialpolitische Problemzonen, die Stellen, wo der Schuh in Ungarn wirklich drückt.
Doch der ehemalige Rechtsaussenpolitiker Vona schlägt keine klassenkämpferischen Töne an, sondern versöhnliche. «Meine Stärke ist, dass ich Menschen auf gemeinsame Ziele einschwören kann, dass ich vereinen kann», sagt er – und spricht das Offensichtliche gleich selber an: «Das mag merkwürdig klingen aus meinem Mund, wo ich doch in Westeuropa als Extremist gelte.»
Heute verteidige ich nichts mehr und erkläre das für inakzeptabel.
Als Extremist galt er nicht ohne Grund. Vona war vor zehn Jahren einer der Gründer der ungarischen Garde, einer rechtsextremen Gruppierung, die gerichtlich verboten wurde.
In der Gründungsakte stehe nichts über Juden oder Roma drin, meint Vona: «Die Garde entstand aus Protest gegen die damalige Regierung. Doch wir sind verantwortlich, dass wir die grossen Kräfte dieser Bürgerbewegung nicht kontrollieren konnten.» Und dann sei es zu Ausschreitungen gegenüber Roma gekommen.
Und ja, sagt er, früher habe er juden-, roma- oder schwulenfeindliche Entgleisungen seiner Parteimitglieder noch zu erklären versucht: «Heute verteidige ich nichts mehr und erkläre das für inakzeptabel.»
Schmerzhafte Häutung
Doch die Läuterung einer extremen Partei ist kein einfacher Prozess. Er musste der Partei die Seele herausreissen: «Genau so habe ich es auf Facebook geschrieben. Ich musste dramatische Schlachten schlagen in der Partei, um die Leute zu überzeugen, dass extremistische Ansichten bei uns keinen Platz mehr haben.»
Es kam zu Verlusten. Aber nur etwa fünf Prozent der Ortsvereine hätten die Partei verlassen, sagt Vona. Jobbik ist für ihn jetzt, nach jahrelangen Bemühungen, eine Partei jenseits von links und rechts in der Mitte der Gesellschaft. So will er sie in den Wahlen im Frühling zum Erfolg führen.
Laut Umfragen liegt Jobbik aber nach wie vor an zweiter Stelle, weit hinter der Partei Fidesz von Premier Orban. Doch von den Umfrageinstituten wisse er, dass früher jeder Dritte eine Antwort gegeben habe, sagt Vona, heute sei es noch jeder elfte. Er deutet das so: «Es gibt einen gewaltigen unterdrückten Wunsch nach Wechsel in Ungarn, wir werden eine Überraschung erleben.»
Allianz gegen Orbans illiberalen Staat
Schon träumt er von Jobbik als der stärksten Kraft in einer neuen Koalition – zusammen mit frischen linken und liberalen Parteien: «Einflussreiche Leute im linksliberalen Lager sehen Jobbik inzwischen als möglichen und notwendigen Partner für einen Regierungswechsel. Die sehen den Wandel und dass Jobbik heute eine Partei ist, die die demokratischen Werte ernst nimmt.»
Tatsächlich gibt es inzwischen auch liberale Intellektuelle, die sich für eine Koalition mit Jobbik aussprechen. Nicht aus Freude über den Wandel dieser Partei. Sondern, weil nur so eine Chance besteht, zu verhindern, dass Orban den Umbau Ungarns zu einem illiberalen Staat auch nach acht Jahren noch mit einer bequemen Mehrheit fortsetzen kann.
Hetzen mit angezogener Handbremse
Bulcsu Hunyadi ist Politologe beim Budapester Think Tank «Political Capital» und beschäftigt sich mit Rechtsextremismus. Gehört die Partei Jobbik noch in sein Gebiet? «Ich würde sagen, ja. Die Partei hat unter Vonas Führung eine neue Linie angestossen. Aber ihre Politiker sind die gleichen geblieben.» Ihre Ansichten seien die gleichen geblieben, meint der Politologe, nur würden sie diese nicht mehr so nach aussen tragen wie früher.
Doch Hunyadi beobachtet immer noch fast täglich Jobbik-Politiker, die im Internet gegen Roma und Flüchtlinge hetzen. Auch pflegen viele weiterhin die Nähe zu rechtsextremen Gruppierungen. Und Vona selber, ist der glaubwürdig in seiner neuen Rolle? «Er ist ein professioneller Politiker, der an die Macht kommen will. Wichtig ist nicht nur, was er sagt, sondern was er tut.»
Vona verfolge eine Strategie. So richtig tue er das, seit Premier Orbans Fideszpartei in der Flüchtlingsfrage so extrem wurde, dass rechts von ihr kein Platz mehr war. Doch die Strategie sei gefährlich, sagt Hunyadi: «Viele der alten Wählerinnen und Wähler sind verwirrt und wissen nicht, wofür die Partei noch steht.»
An den neuen Traum einiger Liberaler, zusammen mit der geläuterten Jobbik Orban und dessen Partei nach acht Jahren von der Macht zu verdrängen, glaubt der Politologe derzeit nicht. Zu stark sei Orbans Anti-Flüchtlingspropaganda, zu weit verbreitet das Gefühl, nur er könne das Land verteidigen.
Gefährdeter als der Premier ist wohl der Präsident von Jobbik, Gabor Vona. Denn seine Partei könnte auch schlechter abschneiden als vor vier Jahren: «Dann muss Vona zurücktreten und es wird wohl zu einer Neuorientierung der Partei kommen», sagt Hunyadi. Und dann wäre die nächste neue Jobbik wohl wieder die alte.