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Gemeinsam gegen das Virus So erleben SRF-Korrespondenten die Corona-Krise in ihren Ländern

In ihren Einsatzländern versuchen die SRF-Korrespondentinnen und -Korrespondenten, die Coronavirus-Pandemie möglichst nahe mitzuverfolgen. Manche dürfen ihre Wohnung nur mit einer Sonderbewilligung verlassen. Sie schildern, wie die Pandemie den Alltag beeinflusst und wie die Menschen damit umgehen.

Sieben Korrespondenten in sieben Ländern

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  • Karen Naundorf in Buenos Aires, Argentinien
  • Thomas von Grünigen in New York, USA
  • Martin Aldrovandi in Schanghai, China
  • Thomas Gutersohn in Mumbai, Indien
  • Bettina Ramseier in Berlin, Deutschland
  • Henriette Engbersen in London, Grossbritannien
  • Philipp Zahn in Rom, Italien

Wie haben die SRF-Korrespondenten persönlich die Zuspitzung der Corona-Krise erlebt?

Karen Naundorf in Buenos Aires, Argentinien: Seit Freitag ist es verboten, das Haus zu verlassen. Man darf nur noch zum Supermarkt um die Ecke. Wer einen Hund hat, darf raus – muss aber immer Chlorreiniger bei sich führen. Die Regierung versucht, aus den Geschehnissen in Italien zu lernen und tut das einzig Richtige: Eindämmen. Es gibt harte Strafen für jene, die sich nicht an die Ausgangssperre halten. Ich habe zum Glück kurz vorher noch einen Kühlschrank mit Gefrierfach gekauft; nun heisst es ausharren.

Thomas von Grünigen in New York, USA: Als es plötzlich ganz still wurde im sonst so hektischen New York, fühlte es sich an wie in einem der vielen Katastrophenfilme, die in der Stadt spielen. Plötzlich sind alle Touristen verschwunden, Broadway und Museen sind geschlossen. Fast alles, was die Stadt so faszinierend macht, ist plötzlich weg. Meine Coiffeuse wurde bereits entlassen, ebenso wie eine Freundin, die in einer der vielen Kunstgalerien arbeitet. Das geht nahe.

Die 25-Millionen-Stadt Schanghai war wie leer gefegt.
Autor: Martin Aldrovandi SRF Korrespondent in China

Martin Aldrovandi in Schanghai, China: Mitte Januar begannen immer mehr Menschen in Schanghai Gesichtsmasken zu tragen. Gegen Ende Januar wurde es aber immer offensichtlicher: immer mehr Geschäfte schlossen und im Februar war in der Stadt fast alles geschlossen. Die wenigen Menschen, die überhaupt noch auf den Strassen zu sehen waren, trugen alle Gesichtsmasken. Die 25-Millionen-Stadt Schanghai war wie leer gefegt.

Henriette Engbersen in London, Grossbritannien: Die Corona-Krise schränkt vor allem die tägliche Arbeit ein, wir gehen kaum noch Fernsehbilder drehen. Doch wir versuchen es positiv zu sehen, mit meinem Kameramann habe ich ein neues Experiment gewagt: Wir fuhren vergangene Woche mit Velo und Anhänger zu einem Interview-Termin. Eigentlich sind wir meistens auf ein Taxi angewiesen, da wir viel technisches Material dabeihaben. Unser Dreh mit Velo und Anhänger war erfolgreich und «corona» wie auch «carbon free».

Thomas Gutersohn in Mumbai, Indien: Indien ist plötzlich ganz ruhig geworden. Lange hoffte man hier, von der Corona-Krise verschont zu bleiben. Doch nun, mit steigenden Fallzahlen, hat Premierminister Narendra Modi eine landesweite Ausgangssperre verhängt. Auch in Mumbai fahren die Züge nicht mehr und Geschäfte bleiben geschlossen. Kein Verkehr, keine Hupen mehr, keine Verkäufer in den Strassen. Das ist fast ein bisschen gespenstisch. Man hört plötzlich den Wind in den Palmenblättern rauschen.

Bettina Ramseier in Berlin, Deutschland: Das Coronavirus hat uns vom unbeschwerten Urlaub in den totalen Ausnahmezustand katapultiert. Während unserer Ferien in der Schweiz kündigte Berlin an, alle Kitas und Schulen zu schliessen. Aus der anfänglich rein logistischen wurde eine psychologische Herausforderung, denn Behörden und Kinderärztin empfahlen uns als Rückkehrer aus der Schweiz mit Symptomen eine zweiwöchige Quarantäne. Heute ist der zehnte Tag.

Philipp Zahn in Rom, Italien: Ich hatte unglaublich Glück! Mit meinen Söhnen war ich Mitte Februar noch im Südtirol in den Skiferien – eine Woche vor dem grossen Coronavirus-Ausbruch auch dort. Auf dem Rückweg holen uns die Ereignisse in Modena ein. Zeitlich und örtlich sind wir knapp an der Corona-Sperrzone in der Emilia-Romagna und der Lombardei vorbeigeschrammt. Das habe ich erst später dann wieder in Rom realisiert.

In welchem politischen und wirtschaftlichen Kontext ist das Land betroffen?

Karen Naundorf in Buenos Aires: Argentinien schrammt seit Monaten an der Staatspleite vorbei. 40 Prozent der Bevölkerung sind arm, das Parlament hatte schon im vergangenen Jahr den Nahrungsmittelnotstand beschlossen. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt von der Hand in den Mund und arbeitet schwarz, Zuhause bleiben ist keine Option. Die Regierung muss parallel die Schuldenkrise in den Griff bekommen und mit Sozialprogrammen weitere Not und auch Unruhen vermeiden.

Thomas von Grünigen in New York: Die Epidemie legt die Schwachpunkte des amerikanischen Wirtschaftssystems schonungslos offen. Viele Menschen sind unterversichert, es fehlt vielerorts an einem starken Sozialstaat. Und Millionen ärmerer Leute haben nicht genug Geld, um einen Monat ohne Einkommen durchzukommen. Nun muss der Staat in einer Hauruck-Aktion all diese Menschen unterstützen. Gelingt das nicht, droht eine Wirtschaftskrise historischen Ausmasses.

Martin Aldrovandi in Schanghai: Die Krise begann fast gleichzeitig mit dem chinesischen Neujahr, als ohnehin Millionen von Menschen im ganzen Land unterwegs waren. Nachdem Wuhan und später weitere Städte und Provinzen abgeriegelt worden waren, kamen viele Menschen nicht mehr zurück an ihren Wohnort. Die Wirtschaft in China hat es besonders schwer getroffen – besonders kleine Geschäfte, aber auch einfache Arbeiterinnen und Arbeiter, die festsitzen und deshalb keinen Lohn erhalten.

Henriette Engbersen in London: Das Virus bringt auch den Brexit ins Stocken. Das Vereinigte Königreich steckt mitten im Austrittsprozess. Premierminister Boris Johnson wollte sich damit profilieren. Nun trifft die Pandemie die britische Regierung auf dem falschen Fuss. Johnson hat bisher als Staatsmann in der Corona-Krise noch nicht wirklich überzeugen können. Zu zögerlich sind viele seiner Massnahmen im Kampf gegen das Virus.

Am stärksten betroffen sind die Tagelöhner, die wegen der Ausgangssperre ohne Einkommen sind.
Autor: Thomas Gutersohn SRF-Korrespondent in Mumbai

Thomas Gutersohn in Mumbai: Am stärksten betroffen sind in Indien die vielen Tagelöhner. Der Grossteil der Arbeitnehmer sind ohne Vertrag angestellt, sie erhalten ihren Lohn abends bar auf die Hand. Wegen der Ausgangssperre stehen sie nun ohne Einkommen da. Viele sitzen einfach vor den geschlossenen Geschäften und warten ab, ohne Geld in der Tasche. In hoffnungslos überfüllten Zügen versuchten einige übers Wochenende in ihr Heimatdorf zurückzukehren, doch nun fahren auch die Züge nicht mehr.

Bettina Ramseier in Berlin: Die Kanzlerschaft von Angela Merkel neigt sich dem Ende zu, die wirtschaftlich fetten Jahre sind vorbei. Schulen, öffentlicher Verkehr und das Pflegesystem sind in einem schlechten Zustand und in Sachen Digitalisierung hinkt Deutschland hinterher. Zudem arbeiten hier über 20 Prozent der Erwerbstätigen in prekären Verhältnissen – deutlich mehr als im EU-Durchschnitt. All das holt Deutschland jetzt ein.

Philipp Zahn in Rom: Italien als Stiefkind in Sachen Wirtschaft und Staatsfinanzen hat es besonders schwer erwischt. «Piove sul bagnato» – das Sprichwort wird jetzt gern verwendet: Nach dem Motto «Ein Unglück kommt selten allein» gehen die Italiener mit der Corona-Krise jetzt fatalistisch um. Gleichzeitig darf sich das Land jetzt kräftig überschulden, um die dramatischen Auswirkungen auf die Konjunktur zumindest abzufedern. Die EU-Sparkriterien sind nämlich über Nacht ausgesetzt worden.

Welche Stimmung dominiert das öffentliche Leben und die Bevölkerung?

Karen Naundorf in Buenos Aires: Man sieht hier die Bilder aus Europa, fürchtet sich vor dem Virus und bleibt zuhause. Ärmere Argentinier haben Angst, hungern zu müssen und Ladenbesitzer fürchten sich vor Plünderungen, besonders im Grossraum von Buenos Aires. Dort gab es bereits Zusammenstösse zwischen der Polizei und Menschen auf den Strassen. Der Präsident wird in allen politischen Lagern als Fels in der Brandung wahrgenommen, der das Land besonnen führt.

Thomas von Grünigen in New York: Es herrscht grosse Verunsicherung und Angst. Es gab Panikkäufe ähnlich wie in Europa. Täglich warnt der Gouverneur des Staates New York, dass das Schlimmste noch bevorsteht. Und Präsident Trump, der das Land jetzt beruhigen und einen sollte, sorgt mit chaotischen Auftritten für weitere Verunsicherung. Trotz allem schimmert auch in dieser Krise vielerorts der typisch amerikanische Optimismus durch: «We can do this!»

Thomas von Grünigen in New York
Legende: Thomas von Grünigen in New York. SRF

Martin Aldrovandi in Schanghai: Zu Beginn der Krise gab es in China herzzerreissende Videos von Menschen, die ihre Angehörigen verloren haben oder solchen, die der Regierung schwere Vorwürfe gemacht haben. Doch schon bald rissen die offiziellen Medien die Berichterstattung wieder an sich, betonen dabei eher die positiven Seiten und verbreiteten Hoffnung in der Bevölkerung. Inzwischen schauen viele Chinesen auch nach Europa und auf die USA und werfen dem Westen vor, die Viruskrise verschlafen zu haben.

Die Briten schauen mit Sorge auf ihr schwaches Gesundheitssystem.
Autor: Henriette Engbersen SRF-Korrespondentin in London

Henriette Engbersen in London: Die grosse Sorge der Briten sind die Fallzahlen infizierter und verstorbener Patienten in Italien, Spanien oder Frankreich. Sie sehen, was sie erwartet und wissen, dass das britische Gesundheitssystem im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Ländern in einem weit schlechteren Zustand ist: mit weniger Personal, Betten und Finanzen. Das sind besorgniserregende Aussichten.

Thomas Gutersohn in Mumbai: Natürlich gibt es auch in Indien Hamsterkäufe. Gesichtsmasken und Desinfektionsmittel gibt es mittlerweile auf dem Schwarzmarkt. Doch in der Regel nehmen es die Inderinnen und Inder relativ gelassen. Sie bleiben zuhause und wer kann, erledigt die Arbeit im Homeoffice. Das Leben in Indien ist für viele immer in einer Art Krisen-Modus, da ist die Corona-Krise, neben der hohen Arbeitslosigkeit oder dem maroden Gesundheitswesen, nur eine Krise mehr.

Bettina Ramseier in Berlin: Die deutschen Steuerkassen sind gefüllt – nun wird mit vollen Händen ausgegeben. Das weckt Zuversicht, wenn auch die Bürokratie dem Pragmatismus gerade besonders im Weg steht. Doch das Land verfügt über hervorragende Wissenschaftler und spezifisches Know-how in der Biotechnologie. Politik und Bevölkerung bleiben nüchtern – gesungen und getanzt wird anderswo.

Philipp Zahn in Rom: Die Angst vor der Virus-Ausbreitung ist in Italien weiterhin gross. Schuld sind die enormen Fallzahlen von Neuansteckungen und Verstorbenen vor allem in der Lombardei. Im übrigen Italien bangt man und versucht, sich an die Regeln gegen die Ausbreitung des Virus zu halten. Alle wissen, die medizinische Versorgung in Mittel- und Süditalien ist weitaus schlechter als im Norden. Ein sprunghafter Anstieg auch dort würde dramatische Folgen haben.

Spürt man im jeweiligen Land eine besondere Solidarität?

Karen Naundorf in Buenos Aires: Argentinien steht noch am Anfang der Krise. Am Sonntag rief die Stadtverwaltung von Buenos Aires dazu auf, sich für Freiwilligendienste zu melden: Einkaufen für Ältere oder täglich mit jemandem telefonieren, der zu vereinsamen droht. Es gibt Spendenaufrufe, etwa für Hygiene-Kits für Armenviertel ohne fliessendes Wasser und Spitäler ohne Beatmungsgeräte. Die staatliche Fluggesellschaft Aerolineas Argentinas führt Rückholaktionen durch – Piloten und Kabinenpersonal sind Freiwillige.

Thomas von Grünigen in New York: Autohersteller bieten an, in ihren Fabrikhallen Beatmungsgeräte zu produzieren. Wer überzählige Schutzmasken hat, spendet sie an Spitäler. Hilfsorganisationen und Private sammeln Geld für Kulturschaffende oder arbeitslose Mitarbeiter in Restaurants. Amerikaner sind traditionell spendenfreudig. Allerdings, die Schäden in Billionenhöhe, welche die Krise verursacht, können sie allein nicht wettmachen.

Martin Aldrovandi in Schanghai: Es gibt sehr viele Solidaritätsaufrufe an die Bewohner in den betroffenen Regionen. So wurde während der Neujahrsgala im chinesischen Fernsehen nach Wuhan geschaltet und den Menschen dort Mut zugesprochen. Auch in den sozialen Medien und auf Apps liest man Solidaritätsbekundungen. «Wuhan Jiayou» ist ein beliebter Spruch, den man überall lesen kann. Er bedeutet so viel wie «Ihr schafft das, Wuhan». Es gibt zum Teil aber auch ein gewisses Misstrauen, vor allem gegenüber Menschen aus den betroffenen Regionen.

Henriette Engbersen in London: Solidarität ist in Grossbritannien spürbar, ähnlich wie in anderen Ländern auch. Eine britische Besonderheit ist die Solidarität mit den lokalen Pubs. Den Briten ist ihr Pub heilig. Pub-Besucher und -Besucherinnen können nun über eine Crowdfunding-Website dem Pub des Herzens finanziell durch die schwierigen Zeiten helfen.

Henriette Engbersen in London
Legende: Henriette Engbersen in London. SRF

Thomas Gutersohn in Mumbai: Am vergangenen Sonntag standen viele in den indischen Grossstädten auf ihren Balkonen oder vor dem Haus und applaudierten dem Hilfs- und Pflegepersonal. Dies aber mehr auf Geheiss des Premierministers. Die Solidarität zeigt sich eher im Kleinen: So haben Freunde gestern die Ausgangssperre überwunden und mir spontan ein Curry nach Hause gebracht, da sie befürchteten, ich sei am Verhungern.

Bettina Ramseier in Berlin: Die Menschen sind freundlich und hilfsbereit, doch in einer Grossstadt wie Berlin verliert man sich schnell aus den Augen, wenn keiner mehr rausgeht. Fensterkonzerte oder gemeinsamer Applaus finden nur wenige Unterstützer. Noch scheint die Stadt wie in Trance. Die Folgen der sozialen Isolation, sollten sie länger andauern, sind nicht absehbar.

In der Not laufen die Italiener zur Höchstform auf – die Solidarität ist enorm.
Autor: Philipp Zahn SRF-Korrespondent in Italien

Philipp Zahn in Rom, Italien: In der Not laufen die Italiener zur Höchstform auf: ob bei Erdbeben oder anderen Naturkatastrophen – die Solidarität ist enorm, auch jetzt zu Zeiten des Coronavirus. Junge Menschen stellen sich für ältere Freunde und Nachbarn in die Warteschlangen vor dem Supermarkt und übernehmen den Einkauf. Abends um 18 Uhr treten alle an die Fenster oder auf die Balkone und singen oder hören gemeinsam Musik. Dieses neue Gemeinschaftsgefühl wird hoffentlich diese Krise überdauern.

«Tagesschau» 19:30 Uhr, 24.03.2020 ; 

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