Ein Güterzug rollt durch das verlassene Bergwerkgelände. Streunende Hunde laufen umher, sonst ist es still zwischen den Betonsäulen und rostigen Aussentreppen.
Das Hauptgebäude der Mine, eingebaut in eine Felswand, ist eine Ruine. Auf dem Dach wachsen bereits Bäume. Hinter einer Fensterscheibe brennt jedoch eine einzelne Glühbirne.
Hier wurde bis vor Kurzem noch gearbeitet. In dieser Schlucht, bei der Stadt Tschiatura, liegen die mitunter grössten Manganreserven Europas. Mangan ist ein sprödes, silbriges Schwermetall, das Stahl beigemischt wird, um es härter zu machen, erklärt der Bergmann Merab Saralidse.
Auch für die Waffenproduktion und für die Batterien von E-Autos ist Mangan sehr wichtig. «Die Arbeit ist hart», so Merab. «Im Schacht bohren wir zuerst in den Felsen, dann sprengen wir das Gestein und transportieren das Metall ab – manchmal mit den blossen Händen.»
Schächte geschlossen
Jetzt aber arbeitet Merab Saralidse nicht. Er sitzt in einem Wohnwagen im Stadtzentrum von Tschiatura. Daneben stehen Zelte. Es ist ein Protestcamp.
Seit Monaten haben tausende Bergleute in Tschiatura keine Arbeit. Die Firma, die das Monopol auf den Manganabbau in der Region hat, hat die Schächte im vergangenen November geschlossen – wegen Schwankungen auf dem Weltmarkt, sagt sie.
Dem Arbeitsstopp war allerdings ein jahrelanger Streit zwischen Firma und Arbeitern vorausgegangen. Es ging dabei um Umweltverschmutzung sowie um sichere und faire Arbeitsbedingungen.
«Nach der Modernisierung eines Schachts wollte die Firma, dass wir für den gleichen Lohn mehr Erz pro Tag fördern», sagt Merab. «Dabei war es physisch unmöglich, in 24 Stunden so viel zu arbeiten, wie sie verlangten.»
Inzwischen gehe es ums Überleben. Das Unternehmen «Georgian Manganese» hatte versprochen, die Gruben bis Anfang März wieder aufzumachen und bis dann einen Teil der Löhne zu zahlen. Stattdessen bleiben die Minen geschlossen und die Arbeiter haben seit bald drei Monaten kein Geld gesehen.
«Deswegen protestieren wir rund um die Uhr», so Merab. «In diesem Camp leben wir, essen wir, die Familien legen alles Geld zusammen, damit wir uns ernähren können. Seit 42 Tagen warten wir auf Hilfe von den Behörden. Der Ortsregierung und der Landesregierung in Tiflis haben wir mehrmals geschrieben – keine Antwort.»
Hochburg der Regierung
In einer Nische der Wohnwagenküche zündet ein Arbeiter eine Kerze an und stellt sie vor eine georgisch-orthodoxe Ikone.
Das Schweigen der Regierung ist für die Menschen in Tschiatura besonders bitter: In den Parlamentswahlen vom vergangenen Oktober wählten hier 65 Prozent die Regierungspartei «Georgischer Traum». Die zweitstärkste Partei kam auf gerade mal acht Prozent der Stimmen. Einen Monat später wurden die Schächte geschlossen.
Tschiatura gilt seit Jahren als Hochburg des «Georgischen Traums». Der Parteigründer, Georgiens reichster Mann Bidsina Iwanischwili, kam während seines ersten Wahlkampfs 2012 hierher. «Ich garantiere, kein Beamter wird besser leben als ihr», sagte damals Iwanischwili, der aus einem Dorf nur wenige Kilometer von Tschiatura entfernt stammt. «Wir werden Gerechtigkeit wiederherstellen.»
An den Auftritt von Iwanischwili erinnert sich Mischa Imedadse noch heute. «Ich habe ihn damals noch unterstützt», sagt Mischa. «Aber schon bald habe ich gemerkt, dass die Arbeiterklasse dem ‹Georgischen Traum› egal ist.»
Mischa arbeitet seit drei Jahrzehnten in den Gruben, seine Familie seit vier Generationen. Tschiaturas Bergbautradition ist eine Sache, die ihm nahegeht. Während er spricht, werden seine Stimme laut und seine Augen feucht.
Eindrücke vom Bergwerk Tschiatura
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Bild 1 von 5. Mangan wird in Tschiatura seit fast 150 Jahren abgebaut. Bildquelle: SRF/Calum MacKenzie.
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Bild 2 von 5. Die Mine stammt aus Sowejtzeiten, der Blütezeit von Tschiatura. Die meisten Gebäude stammen aus dieser Zeit. Bildquelle: SRF/Calum MacKenzie.
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Bild 3 von 5. Bis zu 3500 Bergleute sind nach der Schliessung der Mine in Tschiatura nun arbeitslos. Bildquelle: SRF/Calum MacKenzie.
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Bild 4 von 5. Vor der Schliessung wurde das Mangan in die Fabrik in der nahen Stadt Sestaponi gebracht, um verarbeitet zu werden. Dann wurde es nach Europa oder in den Nahen Osten exportiert. Bildquelle: SRF/Calum MacKenzie.
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Bild 5 von 5. Heute importiert die Firma lieber Mangan-Erz aus Gabun in Westafrika und verarbeitet es in Sestaponi. Das sei günstiger. Bildquelle: SRF/Calum MacKenzie.
Früher habe man auf das Wohl der Arbeiter noch geschaut, sagt er. Heute zwinge die Firma einen, bis zum Umfallen zu arbeiten. Dann nehme sie den Nächsten, der sich nach langer Arbeitslosigkeit für noch weniger Lohn anstellen lasse. «Georgian Manganese» mache das nur, weil ihr es die Regierung auch erlaube, ist Mischa überzeugt.
Arbeitsscheue Arbeiter?
In der Hauptstadt Tiflis, am Firmensitz von «Georgian Manganese», schwärmt Giorgi Tatischwili von Tschiatura. «Eine schöne Gegend von Georgien, die Landschaft erinnert an Salzburg», sagt das Vorstandsmitglied von «Georgian Manganese».
Langfristig müssten die Menschen dort wohl auf Tourismus oder Viehzucht setzen statt auf Bergbau, so Tatischwili. Denn das Mangan aus Tschiatura sei nicht unersetzlich. «Im Moment ist es für uns günstiger, Mangan aus Westafrika nach Georgien zu importieren und in unserer Fabrik 40 Kilometer von Tschiatura entfernt zu verarbeiten, als es dort abzubauen.»
Dass die Minen zublieben, liege aber nicht an seiner Firma, so Tatischwili, sondern an den Bergarbeitern selbst. «Sie arbeiten lieber gar nicht, solange wir ihnen einen Teil des Lohns auszahlen», sagt er. «Diese Situation haben wir lange toleriert, aber das können wir nicht ewig. Zum Glück unterstützt uns die Regierung sehr, etwa im Bereich von Stromkosten und Steuerpflichten.»
Enttäuschte Basis
Vertreter des «Georgischen Traums» lehnten ein Interview mit Radio SRF ab. Zum Streit in Tschiatura sagt die Regierung jeweils, in die Geschäfte einer privaten Firma könne sie sich nicht einmischen. Dabei hat sie «Georgian Manganese» die Bergbaulizenz erteilt. Ausserdem steht die Manganförderung unter staatlicher Aufsicht und einige Teilhaber der Firma stehen dem «Georgischen Traum» nahe.
Das Schicksal der Grubenarbeiter von Tschiatura zeigt, dass Georgiens politische Krise komplizierter ist als eine Wahl zwischen Russland und dem Westen. Der «Georgische Traum» kümmert sich eher um seine Klientel und um grosse Unternehmen als um seine Basis.
Bei den Wahlen setzte die Partei auf Einschüchterung und rechtspopulistische Rhetorik, etwa gegen LGBT-Menschen. Die Versprechen, die den Menschen im abgehängten Tschiatura einst gemacht wurden, scheinen vergessen.
Doch die Bergmänner in Merab Saralidses Wohnwagen vergessen nicht: «Wir erinnern uns an alles», sagt einer der Männer mit einem bitteren Schmunzeln. Vor der Ikone in der Nische zündet ein Mann eine neue Kerze an.