Es ist stockdunkel und riecht verfault in der grossen Halle in einem Industriegebiet im nordchinesischen Shandong. Herr Li Li Yanrong legt eine Platte nach der anderen zur Seite. Es raschelt. Zum Vorschein kommen braune Tierchen mit langen Fühlern, die über und untereinander rennen. Erst hunderte, dann tausende.
Sie fliehen vom Licht der Taschenlampe. Denn am wohlsten fühlen sie sich in der Dunkelheit. Eine Milliarde Kakerlaken lebt in dieser Halle, die knapp so gross ist wie ein Fussballfeld, Während es draussen kalt ist, ist es drinnen rund 30 Grad warm und feucht – das perfekte Küchenschaben-Klima.
Ein Dokumentarfilm – und eine Wanne
Vor acht Jahren hat der 55-jährige Li Yanrong mit der Küchenschaben-Zucht begonnen. Wegen seiner Tocher: «Sie hat eine Fernseh-Dokumentation über Kakerlaken gesehen. Darin wurden die Tiere als äusserst anpassungsfähig beschrieben. Darauf habe er begonnen, zu Hause zu experimentieren. «Am Anfang lebten sie in einer Wanne bei uns zu Hause. Sie assen alles Mögliche, sogar Papierservietten.»
Seine Ehefrau sei vom Vorhaben nicht so begeistert gewesen, erinnert sich Li. Doch inzwischen sei auch sie vom Geschäftsmodell überzeugt. Die Tierchen leben mittlerweile allesamt auf einer Kakerlaken-Farm. Diese will Li ausbauen, und dazu drei weitere Hallen mit Kakerlaken bevölkern. Ziel: Insgesamt vier Milliarden Tiere.
Mannigfaltige Verwendung
Li kann seine Begeisterung für die Kakerlaken kaum zurückhalten. Für ihn sind sie kein Ungeziefer, sondern Nutztiere: Für die chinesische Medizin, für Kosmetik, für Tierfutter. Seine Farm ist auf Tierfutter spezialisiert. Aus dem Eiweiss gibt es Futter für Hühner, Schafe, Kühe, Schweine.
«Wir haben mit Hühnerfutter aus Kakerlaken-Eiweiss experimentiert. Die Hühner, die wir hier halten, brauchen keine Antibiotika, sie sind sehr gesund. Auch habe ihr Fleisch kaum fett. Das könnte man in Zukunft vermarkten als Light-Produkte für Konsumenten, die abnehmen möchten.»
Und selber essen?
Da stellt sich die Frage: Können die Menschen Kakerlaken auch direkt essen –und nicht via Nutztiere? Ja klar, sagt Li Yanrong. Er dürfe sie aber nicht als Nahrungsmittel verkaufen, weil es dazu noch keine Lizenz gebe. «Wir selbst aber essen die Kakerlaken, sie sind zum Beispiel gut gegen Magenbeschwerden. Dafür frittieren wir sie in Öl, und essen sie als Beilage.»
50 Tonnen Küchenabfälle – pro Tag
Direkt neben der Halle hats Platz für Lastwagen, die Speisereste aus der Stadt herankarren. Denn seine Kakerlaken vernichten auch Küchenabfälle. Rund 50 Tonnen sind es pro Tag. Die Stadt liefert das Futter gratis. Und mit der Wärme, welche die Kakerlaken abgeben, betreibt Li auf dem Dach der Halle ein Treibhaus, wo er Gemüse anpflanzt.
Kakerlaken hätten eigentlich nur Vorteile, ist Li Yanrong überzeugt. Ihren schlechten Ruf hätten sie nicht verdient. «Ratten verbreiten Krankheiten wie Pest, Mücken Dengue-Fieber und Malaria. Aber die Kakerlaken verbreiten keine solchen Krankheiten, sie essen lediglich unsere Abfälle.» Wenn sich jemand also vor Kakerlaken in der Wohnung ekle, bedeute dies lediglich, dass man selbst nicht sauber genug aufgeräumt und geputzt habe, betont Li.