Per Gesetz stellt das ukrainische Parlament die Anti-Korruptionsbehörden unter die Kontrolle des Generalstaatsanwaltes. Das Gesetz wurde ungewöhnlich schnell beschlossen und auch Präsident Wolodimir Selenski hat es unterschrieben. Ukraine-Korrespondent David Nauer ordnet die drängendsten Fragen ein.
Was bedeutet das neue Gesetz konkret?
Es bedeutet, dass es künftig keine wirklich unabhängige Antikorruptionsbehörde in der Ukraine mehr gibt. Bisher gab es zwei Behörden; die eine heisst Nabu, die andere Sapo. Sie haben nach korrupten Beamten gefahndet und konnten gegen jeden ermitteln. Nun soll künftig der Generalstaatsanwalt diese beiden Behörden kontrollieren. Er ist ein Verbündeter von Präsident Selenski. Indirekt werden die Behörden künftig damit von der Regierung kontrolliert, das ist schlecht für die Korruptionsbekämpfung.
Wieso winkt das Lager des Präsidenten dieses Gesetz durchs Parlament?
Viele in der Ukraine spekulieren, was der Hintergrund ist. Manche vermuten, Selenski wolle noch mehr Macht an sich reissen. Andere glauben, dass sich das Präsidentenlager an Korruptionsermittlungen gegen eigene Leute gestört hat. Dazu gibt es noch die Befürchtung, dass die Antikorruptionsbehörden künftig gegen politische Gegner des Präsidenten eingesetzt werden. Das alles wirft kein besonders gutes Licht auf Selenski. Ihm wird von Kritikern ohnehin schon vorgeworfen, er werde immer autoritärer. Mit diesem Gesetz entkräftet der Präsident diese Vorwürfe nicht – im Gegenteil.
Es wird argumentiert, es habe bei den Behörden eine russische Infiltration gegeben. Stimmt das?
Das kann nicht so einfach beurteilt werden. Soweit bekannt ist, wirft der Geheimdienst einigen Antikorruptionsbeamten Kontakte nach Russland vor. Es kann schon sein, dass nicht alle Beamten der betroffenen Behörden «Heilige» sind, vielleicht gibt es sogar Spione darunter. Doch Kritiker sagen zu Recht: Einzelne problematische Mitarbeitende in einer Institution sind noch lange keinen Grund, diese Institution zu zerschlagen. Insgesamt hat das Selenski-Lager bisher kein überzeugendes Argument vorgebracht, warum diese beiden Antikorruptionsbehörden unter die Kontrolle der Regierung kommen sollen.
Gab es in der Ukraine in den letzten Jahren Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung?
Die beiden nun betroffenen Behörden waren der grösste Fortschritt. Sie haben, wenn auch nicht ganz skandalfrei, gegen korrupte Beamte ermittelt und waren vor allem unabhängig. Diese Institutionen sind gegründet worden, um die Korruption in der Ukraine effizient zu bekämpfen und so dem Land langfristig den Weg in die EU zu öffnen. Nun machen Selenski und seine Leute diesen Fortschritt zunichte. In einer Situation, in der die Ukraine mehr denn je auf westliche Hilfe angewiesen ist, ist das nicht klug. Das Land kämpft ja weiterhin um sein Überleben als unabhängiger Staat. Russland will letztlich die ganze Ukraine unterwerfen.