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«Gesichert rechtsextrem» Die AfD und das grösste Geschenk von einem Staat, den sie hasst

In den Nachkriegsjahren hat es noch jeder Partei das Genick gebrochen: Wenn der Verfassungsschutz eine Gruppierung als «gesichert rechtsextremistisch» einstufte, war sie politisch tot. Mit Neonazis, rechtsextremen Spinnern und Rassisten wollte niemand etwas zu tun haben. Die Lehre aus der Geschichte machte den deutschen Staat wachsam, es gab klare Grenzen, welche die Politik und die Gesellschaft akzeptierten. Die rote Linie dick und sichtbar in der ganzen Republik. «Common Sense».

Dann kam die Alternative für Deutschland, die AfD. Figuren wie Björn Höcke, die bewusst mit extremen Positionen spielten, Grenze um Grenze überschritten, provozierten, hetzten. Nicht nur in Ostdeutschland sickerten Begriffe in die öffentliche Debatte, die noch vor ein paar Jahren totale No-Gos gewesen wären. «Schuldkult» in Anspielung an die Erinnerungskultur ans Dritte Reich, «Remigration», «Alles für Deutschland» wie aus düstersten Zeiten. Ein Bundestagsabgeordneter sagte: «Ich bin das freundliche Gesicht des Nationalsozialismus.» Der Mann sitzt immer noch im Parlament.

«Sie hassen Deutschland», rief Alice Weidel

Trotz aller öffentlicher Empörung der konservativen oder linken Parteien, trotz fast einhelliger Ablehnung der politischen Eliten schaffte die AfD Erfolg um Erfolg, errang über 20 Prozent der Stimmen bei der letzten Bundestagswahl. In ostdeutschen Bundesländern galt die Partei schon länger als «gesichert rechtsextrem», vielen Wählerinnen und Wählern war das aber egal. «Sie hassen Deutschland», schleuderte AfD-Chefin Alice Weidel Kanzler Olaf Scholz im Bundestag entgegen. Der ganze Lärm übertönte die politische Auseinandersetzung.

Nun das Verdikt der Verfassungsschützer: Die AfD ist in ganz Deutschland rechtsextremistisch. Weil, unter anderem, «Äusserungen und Positionen der Partei und führender AfD-Politiker gegen das Prinzip der Menschenwürde verstossen». Damit hat der Verfassungsschutz nun mehr Kompetenzen, kann AfD-Leute beschatten, die Telefone abhören.

Holz spalten für das grosse Feuer der AfD

Das Verdikt der Verfassungsschützer wird die Debatte neu entfachen: Soll die Partei verboten werden? Die Hürden in Deutschland sind da hoch – auch aus Erfahrung, als Lehre aus der Hitler-Diktatur. Am nächsten Dienstag wird Friedrich Merz zum Kanzler gewählt – und als eine seiner wichtigsten innenpolitischen Strategie-Entscheidungen wird stehen: Stützt er ein Verbotsverfahren gegen die Partei oder nicht? Könnte man die unliebsame Konkurrenz von ganz rechts so aus der Welt schaffen?

Doch löst dies das Problem? Viele besonnene Stimmen sagen seit Jahren, die AfD solle politisch besiegt werden, mit Argumenten, politischen Handlungen. Mit «Besser-Sein». Und nicht vor Gericht. Mit dem jetzigen Entscheid dominiert die AfD die Schlagzeilen – ein Verbotsverfahren könnte diesen Zustand verstetigen. Andere politische Inhalte wären dann im ganzen Lärm, im ganzen Rauch nicht mehr wahrnehmbar. Wollen das Konservative, Linke? Will das Merz?

Genickbruch oder Stärkung?

Ein Verbotsverfahren, am Ende gar ein Verbot, wird die Mitglieder der AfD mit grosser Sicherheit radikalisieren. Den Staat und die Eliten lehnen viele sowieso ab. Die Nähe des Verfassungsschutzes zum Innenministerium, zur Politik, ist nicht von der Hand zu weisen und besteht aus guten Gründen. Doch genau dieser Umstand wird in der AfD skandalisiert.

Ein Verbot könnte der AfD den Rücken stärken – und nicht das Genick brechen. Merz wird sich das sehr, sehr gut überlegen müssen.

Stefan Reinhart

Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten

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Stefan Reinhart ist Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten und Chef vom Dienst im Newsroom Zürich. Zuvor war er Deutschland-Korrespondent für SRF.

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SRF 4 News, 2.5.2025, 12 Uhr;liea

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