Zum Inhalt springen

Gewalt gegen Indigene Die kanadische Polizei und ihr koloniales Erbe

Auch die Polizeibeamten in Kanada, die Mounties, stehen in der Kritik. Der Ruf nach einer Polizeireform wird laut.

Systematischer Rassismus sei in den kanadischen Institutionen angelegt – auch in der RCMP, der Royal Canadian Mounted Police, sagte Premierminister Justin Trudeau kürzlich vor Journalisten. Angehörige von Minderheiten würden manchmal unfair behandelt, hätten gar Angst vor der Polizei.

Gut 30'000 Angestellte zählt die RCMP heute. Sie ist die kanadische Bundespolizei, die roten Uniformen werden nur noch zu repräsentativen Zwecken getragen, die Pferde sind durch moderne Polizeiautos ersetzt.

Vielfältiges Tätigkeitsgebiet

Die Aufgaben der Mounties umfassen Mordfälle genauso wie Wirtschaftskriminalität, Drogenhandel oder Terrorismusbekämpfung. Besonders in den bevölkerungsarmen Regionen erledigen sie auch Aufgaben der Provinz- und Gemeindepolizei, etwa in indigenen Gemeinschaften.

Diese koloniale paramilitärische Identität reproduziert sich weiter, sowohl auf der Führungsebene als auch im Polizeidienst.
Autor: Christian Leuprecht Politologe

Die Anfänge waren bescheiden. Die RCMP war eine paramilitärische Organisation, gegründet zur britischen Kolonialzeit. Sie sollte Recht und Ordnung durchsetzen. Das präge sie bis heute, so der Politologe Christian Leuprecht. «Der Nachteil ist, dass sich diese koloniale paramilitärische Identität weiter reproduziert, sowohl auf der Führungsebene als auch in der Ausübung des Polizeidienstes.» Das sei im 21. Jahrhundert nicht optimal.

Leuprecht ist an der kanadischen Queen's University Experte für die RCMP. Die meisten Mounties seien keine Rassisten, sagt er: «Doch ist auf jeden Fall nachvollziehbar, dass die RCMP insbesondere mit Ureinwohnern eine überproportionale Anzahl an problematischen Interaktionen hat.»

Polizisten teilweise überfordert

Solch problematische Interaktionen enden manchmal tödlich. In New Brunswick, im Osten Kanadas, hat ein Polizist vor zwei Wochen eine junge Frau erschossen. Angeblich hatte sie psychische Probleme und sei mit einem Messer auf die Beamten losgegangen. In der gleichen Provinz erschoss die Polizei kurze Zeit später einen Mann – auch er angeblich bewaffnet mit einem Messer. Beide Opfer waren Indigene. Und sie sind nicht die einzigen.

Polizisten im Einsatz in Toronto
Legende: Auch Schwarze sind Opfer von Polizeigewalt. Eine Untersuchung von 2018 hat ergeben, dass das Risiko, in Toronto von der Polizei erschossen zu werden, für einen Schwarzen 20 mal höher ist als für einen Weissen. Keystone/Archiv

Experten sagen, die Polizisten seien mit solchen Situationen überfordert, könnten nicht deeskalieren, speziell wenn psychische Krankheiten oder Drogen im Spiel seien. Doch ohnehin hat die RCMP grundsätzliche Probleme: Seit fast 20 Jahren wird über Schwierigkeiten innerhalb der RCMP berichtet.

«Die Debatte über systematischen Rassismus ist nur ein Symptom der vielen anderen Probleme innerhalb der Institution», sagt Leuprecht. Aber es sei schwierig, diese alte, traditionsreiche Polizeibehörde zu ändern.

Keine umwälzenden Reformen

Jetzt ist der Ruf nach Reformen wieder lauter geworden: Auch in kanadischen Städten gingen in den letzten Wochen Tausende auf die Strasse, um gegen Polizeigewalt und Rassismus zu demonstrieren. Darunter viele Schwarze. Trudeau schloss sich einer Demonstration an, sank demonstrativ auf ein Knie.

Grundlegende Reformen hat er keine angekündigt. Nur dass die Mounties künftig Bodycams tragen sollen. «Anstatt eine echte Debatte über die Polizeireform in Kanada zu führen, will er genau diese Debatte vermeiden, da sie für die Regierung letztlich sehr schwierig werden könnte», so Leuprecht.

Simple Massnahmen für die Kamera seien wesentlich einfacher. Die RCMP brauche aber tiefgreifende Massnahmen. Etwa zivile Experten an der Spitze, nicht Polizistinnen und Polizisten in Uniform, die sich hochgearbeitet haben, aber nicht unbedingt geeignet seien, eine Behörde dieser Grösse zu leiten, so Leuprecht. Doch solche Reformen seien wohl auch diesmal nicht zu erwarten.

SRF 4 News, 19. Juni 2020, 6:45 Uhr

Meistgelesene Artikel