«La Costa da Mina» – die Minenküste: So nannten die portugiesischen Seefahrer die Küstengebiete von Ghana, als sie im 15. Jahrhundert hier landeten. «Jeder Hügel ein Goldfeld», schrieb dreihundert Jahre später der britische Entdecker Richard F. Burton über die neue Kronkolonie Londons. Ihr Name: Gold Coast.
Ghana und das Gold, das ist eine lange Geschichte. Bis heute ist das westafrikanische Land der grösste Goldproduzent des Kontinents. Vieles hat sich verändert über die Jahrhunderte: die Grösse der Minen, die Technologien, die Debatten um Arbeits- und Umweltschutz, der Goldpreis. Manches aber ist gleichgeblieben: Gold bringt Reichtum für die einen, Probleme für die anderen.
«Wenn die Sicherheitskräfte kommen, rennen sie weg»
Was das bedeutet, wird deutlich auf einer Fahrt ins Abbaugebiet, nördlich der Küstenstadt Takoradi. Nach einer Stunde weichen die Siedlungsgebiete dicht bewaldeten Hügeln mit Kakao- und Palmölplantagen. Die Strasse windet sich entlang eines Flüsschens. Je weiter man sich von der Stadt entfernt, desto öfter sind dessen Ufer umgepflügt. Die Bäume wurden gefällt, überall liegen aufgeschüttete helle Erdhaufen, dazwischen kleine Teiche mit ölig schimmerndem Wasser. Eine Kraterlandschaft.
Ich bin unterwegs mit Dawda Mohammed Kakale, einem lokalen Journalisten. Plötzlich stossen wir auf zwei Goldsucher. Sie stehen knietief im Wasser, ihre Körper glänzen vom Schlamm. Mit dem Druck einer Wasserpumpe leitet einer der Männer die Erde über eine Wasserrutsche auf der ein Türvorleger liegt. In den Borsten verfängt sich das Gold. Danach wird es mit Quecksilber gebunden und eingeschmolzen. Die beiden Goldsucher wollen nicht reden. Ein Mann aus dem Nachbarsdorf sagt später: Nein, eine Lizenz hätten sie nicht. «Wenn die Sicherheitskräfte kommen, rennen sie weg.»
«Gieriger Joe» und «Ronaldo Gold»
Die Szene wirkt verstörend, ist aber Alltag in Ghana. Rund eine Million Menschen arbeiten hier als illegale Goldsucher. In manchen Regionen ist eine ganze Generation junger Männer dem Goldrausch verfallen, selbst in kleinen Dörfern gibt es oft mehrere Gold-Ankaufsläden, teils mit kuriosen Namen: «Gieriger Joe» oder «Ronaldo Gold».
«Galamsey» nennt man den illegalen Goldabbau hier, eine Ableitung vom Englischen «gather and sell». Er ist das Resultat vom stark gestiegenen Goldpreis und den laxen Kontrollen in Ghana. Viele der Mineure waren früher Kakaobauern, Taxifahrer oder Bauarbeiter. Mit dem Gold verdienen sie nun ein Mehrfaches.
Beim Pra, einem grossen Fluss, zeigt sich das ganze Ausmass. An mehreren Orten ragen Wasserrutschen aus den trüben Teichen, am Rand stehen rostige Bagger. Über hunderte Meter schmiegt sich das kahlgefegte Abbaugebiet an den Fluss. Der Boss hier sei ein Chinese, erklärt ein Wachmann. Eine Lizenz hätten sie nicht – «daran arbeiten wir noch».
Über hundert Taglöhner arbeiten hier, sagt ein Mann an der Wasserrutsche. Umgerechnet 15 Franken bekommt er dafür pro Tag. Jene Arbeiter, die das Goldpulver mit Quecksilber binden, bekommen deutlich mehr. «Die musst du gut bezahlen, sonst klauen sie.»
Gemüse mit Quecksilber-Resten
Am Pra wird auch klar, weshalb in Ghana seit Jahren von einer Umweltkatastrophe die Rede ist. Wir fragen: Was geschieht mit dem Wasser in den Zubern, mit den Quecksilber-Resten? «Es wird weggeschüttet», sagt der Mann und zeigt Richtung Fluss. Dieser hat sich in den letzten Jahren in einen giftigen, trüben Schlammstrom verwandelt. «Nicht einmal mehr unsere Kleider waschen wir darin», erzählt im nächsten Dorf eine Frau.
Laut der nationalen Wasserbehörde sind rund 60 Prozent der Seen und Flüsse so verunreinigt, dass kaum noch etwas in ihnen lebt. Die Gifte sind längst auch in der Nahrungsmittelkette angekommen: Studien zeigen, dass Maniokwurzeln oder Blattgemüse in Minennähe signifikante Mengen an Quecksilber, Zyanid und Arsen enthalten.
Nach drei Stunden erreichen wir Tarkwa, die «Gold-Stadt» Ghanas. Fünf Industrieminen umgeben die rund 200'000 Einwohner. Eine davon ist die grösste Tagebau-Goldmine Afrikas – eine 300 Meter tiefe Grube, in der die ganze Stadt Platz hätte.
Für die meisten Bewohner Tarkwas bleiben diese Minen unzugänglich – auch für uns. Meine Anfragen bei den internationalen Minenbetreibern führen ins Leere.
Das illegale Goldgeschäft ist paradoxerweise zugänglicher. Wir besuchen den alten Bahnhof der Stadt. Er liegt in einer Senke und wirkt wie ein Sinnbild des Scheiterns: Löcher im Dach, grüner Schimmel an den Wänden. Der Bahnhof wurde 1901 von den Briten gebaut, um Gold zu exportieren – «Jungle Boom» nannte man das damals auf der Insel.
Zahlungsunfähig trotz Gold-Milliarden
Heute stehen auf den alten Gleisen schiefe Holzbaracken. Hier zerkleinern die Mineure das goldhaltige Gestein, das sie – oft illegal – aus dem Boden holen. Anschliessend binden sie es. Nein, gefährlich sei das nicht, sagt einer von ihnen, der in einer Metallschüssel gerade mit blossen Händen Quecksilber verrührt. «Ich berühre das nur ganz kurz.»
Auch heute spricht man in Tarkwa wieder von einem Boom. Ein Goldhändler packt am Ende unseres Gesprächs drei eingeschmolzene Goldstücke aus. «Mein Verdienst der letzten Wochen», sagt er. 36'000 Dollar seien die im Moment wert. Verkaufen wolle er aber noch nicht – «der Goldpreis steigt weiter!»
Viele Menschen in Tarkwa spüren davon allerdings wenig. Die Armutsquote liegt hier bei knapp 20 Prozent, doppelt so hoch wie in der Hauptstadt Accra. Selbst auf nationaler Ebene scheinen sich die Gold-Milliarden oft zu verflüchtigen. 2022 konnte die Regierung Ghanas ihre Auslandschulden nicht mehr bedienen. Zum siebzehnten Mal seit der Unabhängigkeit beantragte sie Hilfe beim Internationalen Währungsfonds.
Am letzten Stopp der Reise, in Prestea, wird die Diskrepanz zwischen Gold-Reichtum und Armut noch deutlicher. Das Städtchen galt einst als «Juwel der Goldküste». Heute wirkt der Ort wie tiefe, vergessene Provinz. Die Zufahrtsstrasse ist durchsetzt von knietiefen Schlaglöchern. Wir passieren eine Polizeisperre, fünf Beamte fragen nach einem «Trinkgeld». Dass gleich hinter der nächsten Kurve eine illegale Mine steht, scheint sie nicht zu kümmern.
Auch an einem Hang am Rand von Prestea wird gegraben. Über tausend Männer haben hier siebzig Löcher ausgehoben. In vierzig Meter Tiefe sprengen sie einen Weg durchs Gestein. Viele halten uns beim Besuch für Investoren. «Für tausend Dollar graben wir dir ein Loch», sagt einer der Männer, «und du kriegst ein Drittel des Goldes.» Ein anderer zeigt mir auf seinem Handy grinsend ein Bild eines Goldnuggets aus einem der Löcher. 10'000 Dollar habe ihm das eingebracht – so viel, wie man in Ghana im Schnitt in fünf Jahren verdient.
Einige Tage später schickt mir einer der Arbeiter eine Nachricht: Die Mine sei von der Polizei geräumt worden. Überraschend kommt das nicht. Solche Räumungsaktionen haben sich zuletzt gehäuft.
Die wichtige Korrekturfunktion
Das zeigt, dass die Zeit des Sich-Blindstellens in Ghana vorbei ist. Und dass im politischen System hier eine Korrekturfunktion eingebaut ist, die in manch anderen rohstoffreichen Ländern Afrikas fehlt. Ghana ist seit den 1990er-Jahren eine Demokratie, mit lebendiger Zivilgesellschaft, freien Medien und Wahlen, die tatsächlich zu Machtwechseln führen.
Was das bedeutet, zeigte sich 2024. «Galamsey» und die Bilder von verschmutzten Flüssen führten in dem Wahljahr zu einem Aufstand: In Accra gingen Tausende Menschen auf die Strasse gegen die untätige Regierung. Die Oppositionspartei gewann, es kam zum Machtwechsel – auch des Goldes wegen.
Die neue Regierung hat den illegalen Goldrausch noch nicht gestoppt – dafür ist er viel zu gross. Doch sie macht Fortschritte: mit Räumungen wie in Prestea, mit einer zentralisierten Kontrollbehörde, mit neuen Transparenzsystemen.
Plötzlich scheint es so, als wären die Milliarden aus dem Goldgeschäft doch nicht zwingend Fluch, sondern womöglich auch Segen: Überall werden neue Strassen, Schulen und Spitäler gebaut – mit dem Geld aus dem Abbau des glänzenden Metalls.
Ob der Aufschwung auch in Tarkwa ankommen wird, muss sich erst noch zeigen. Immerhin: Bald sollen dort wieder Züge eintreffen. Die Linie an die Küste soll instand gesetzt werden. Und diesmal dient sie nicht nur den Minen, sondern sieht auch Passagierwaggons vor.